Österreich-Konvent

Ausschuß Nr. 8

 

Univ.Prof. Dr. Andreas Hauer

Institut für Verwaltungsrecht und -lehre

Johannes Kepler Universität Linz

 

W I R T S C H A F T L I C H E   U N V E R E I N B A R K E I T

 

Rechtspolitische Überlegungen

 

1. Das Recht der “wirtschaftlichen Unvereinbarkeit” für die Legislative und für höchstrangige Funktionäre der Exekutive findet sich derzeit vor allem in Art 19 Abs 2 B-VG und im – weithin im Verfassungsrang stehenden – Unvereinbarkeitsgesetz, BGBl 1983/330 (Wiederverlautbarung), zuletzt in der Fassung BGBl I 1999/194. Die Rechtslage wird in der Literatur als kasuistisch und unübersichtlich kritisiert (vgl nur etwa Stolzlechner, Möglichkeiten und Grenzen zeitgemäßer Unvereinbarkeitsregelungen aus der Sicht der Länder, ÖJZ 1990, 289ff). Schon vor dem Hintergrund dieses – zu bestätigenden – Befundes empfiehlt sich eine verfassungsrechtliche Neugestaltung des Rechts der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit aus Anlass der der Konventarbeit.

 

2. Bei einer solchen Neugestaltung gilt es

* erstens die rechtspolitischen Zielsetzungen des Rechts der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit im Auge zu behalten (die Literatur nennt folgende „Motive zeitgemäßer Unvereinbarkeitsregelungen“ [Stolzlechner in: Die Vereinbarkeit öffentlicher Ämter – Niederösterreichische Schriften Band 35, 1989, 13ff]: Stärkung des Gewaltentrennungsprinzips; Vermeidung einer Identität von Kontrollierenden und Kontrollierten; Vermeidung sonstiger politischer Interessenkollisionen; Vermeidung von Arbeitsüberlastung; Vermeidung von Doppel- und Mehrfachverdiensten; Sicherung der Würde eines Amts; Trennung von staatlicher und wirtschaftlicher Macht); meines Erachtens liegt das Hauptgewicht einer Regelung der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit auf folgenden Gesichtspunkten: Vermeidung unsachlicher Einflüsse (insbesondere eigennütziger Einflüsse) bei der politischen Entscheidungsfindung und Willensbildung; Vertrauen des Volkes in die Uneigennützigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch politischen Funktionäre als Grundvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie.

* Zweitens sollen Regeln der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit möglichst knapp formuliert sein und Kasuistik tendenziell vermeiden. Als Grundsatz sollte gelten, dass alle nicht unbedingt erforderlichen Beschränkungen entfallen sollen.

* Drittens sollte die Administration und Durchsetzung des Unvereinbarkeitsrechtes möglichst unbürokratisch und womöglich „selbstvollziehend“ sein.

 

3. An formalen Regelungsoptionen stehen insbesondere zur Verfügung:

a. Gänzlicher Entfall jeglichen wirtschaftlichen Unvereinbarkeitsrechts (als bloß theoretische Option).

b. Wenige generalklauselartige Unvereinbarkeitstatbestände im Text der Hauptverfassungsurkunde selbst.

c. Grundsätzliche Regelung in der Verfassungsurkunde und Kasuistik – soweit erforderlich – in einem Nebengesetz dazu.

d. Beibehaltung des derzeitigen Zustandes mit umfangreicher und teilweise verfassungsrangiger Kasuistik im Unvereinbarkeitsgesetz.

 

4. An Vollziehungsoptionen sind im Grundsätzlichen jedenfalls folgende Modelle denkbar:

a Beschränkung der Regelung auf materiell-rechtliche Unvereinbarkeitsvorschriften. Deren Einhaltung werden überwacht aa. mithilfe der üblichen parlamentarischen Kontrollrechte und bb. durch die kritische Presse und die öffentliche Meinung.

b. Zusätzlich zur ersten Variante unter anderem Beibehaltung eines Unvereinbarkeitsausschusses und vergleichbarer Verfahrensvorschriften.

c. Zusätzlich zur ersten Variante Konzentration der Rechtskontrolle beim Verfassungsgerichtshof mit diesbezüglichen Antragsrechten zB eines Drittels der Abgeordneten zum Nationalrat oder des Rechnungshofes.

 

5. Rechtpolitische Überlegungen zu einzelnen Regelungen des Unvereinbarkeitsgesetzes im Detail:

 

a. Verbot der Berufsausübung (§ 2)

 

Zu überlegen wäre, ob nicht ein Verbot der Ausübung solcher Berufe mit Erwerbsabsicht angeordnet werden sollte, das ex lege nur dann greift, wenn die Berufsausübung Zweifel an der objektiven und unbeeinflussten Amtsführung (so Abs 2) entstehen läßt. Die Entscheidung über die Erfüllung dieses Tatbestandes könnte dem VfGH überantwortet werden, dessen Anrufung als parlamentarisches Minderheitenrecht ausgestaltet werden könnte. Die Ermächtigung zu weitergehenden Regelungen in § 2 Abs 5 leg cit erscheint entbehrlich.

 

Ein Regelungsvorschlag: „Die obersten Organe der Verwaltung, der Präsident des Nationalrates, der Präsident des Rechnungshofes und die Mitglieder der Volksanwaltschaft dürfen während ihrer Amtstätigkeit keinen Beruf mit Erwerbsabsicht ausüben, der Zweifel an der Gewährleistung einer objektiven und unbeeinflussten Amtsführung hervorzurufen geeignet wäre. Ausgenommen sind die Verwaltung des eigenen Vermögens sowie die Ausübung von Funktionen in einer politischen Partei, in einer gesetzlichen Interessenvertretung oder freiwilligen Berufsvereinigung, in die die Person gewählt wurde. Im Zweifel erkennt über das Vorliegen einer unvereinbaren Berufstätigkeit der Verfassungsgerichtshof über Antrag eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates bzw des Landtages.“

 

b.  Beschränkungen der Auftragsvergabe (§ 3)

 

§ 3 Unvereinbarkeitsgesetz verbietet im Ergebnis – in im Detail komplizierter Regelung – die Erteilung öffentlicher Aufträge an bestimmte Personen.

 

Bei der Beurteilung der rechtspolitischen Sinnhaftigkeit der Beibehaltung dieser Regelung ist jedenfalls zu bedenken, dass dieses Verbot der Auftragsvergabe aus einer Zeit stammt, in der Vergaberecht (als außenwirksames Recht) und Vergaberechtsschutz praktisch nicht existierten. In diesem Punkt sind mittlerweile wesentliche Änderungen der Rahmenbedingungen eingetreten. Es gilt also zu überlegen, ob den mit § 3 UnvereinbarkeitsG verfolgten Interessen, unsachliche Begünstigungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hintanzuhalten, nicht ohnehin durch die Institutionen des Vergaberechts (der diesbezüglichen nachprüfenden Kontrolle) und durch die dadurch geschaffene Transparenz hinreichend entsprochen ist. Ich meine daher, dass auf § 3 UnvereinbarkeitsG überhaupt verzichtet werden könnte. (Die in der Praxis gelegentlich vorkommenden „undurchsichtigen“ Auftragsvergaben beziehen sich ja tendenziell ohnehin auf den – rechtsregulatorisch nur schwer fassbaren – Bereich persönlicher Bekanntschaften etc; hier bleibt aber wohl nur das Vertrauen in die Kontrolle durch Gerichte und durch die öffentliche Meinung.)

 

c. Offenlegung der Vermögensverhältnisse (§ 3a)

 

Der Zweck der Regelung liegt in der Kontrolle „außergewöhnlicher Vermögenszuwächse“ (Abs 3). Vor dem Hintergrund dieser Zwecksetzung kann es für die Auslösung einer Meldepflicht aber nicht darauf ankommen, ob im Besonderen eine Unternehmensbeteiligung – gemessen am Grundkapital des Unternehmens – keine Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik ermöglicht, weil auch der Erwerb einer noch einflusslosen Unternehmensbeteiligungen (bei entsprechend großen Unternehmen) einen außerordentlichen Vermögenszuwachs bedeuten kann. Unter der Voraussetzung, dass man an § 3a UnvereinbarkeitsG festhalten will, empfehlen sich daher Bagatellgrenzen nur, wenn sie wertbetragsmäßig (in Euro) festgelegt werden, nicht aber, wenn sie in Unternehmensanteilsprozenten festgelegt würden.

 

Rechtpolitisch ist allerdings zu überlegen, ob § 3a UnvereinbarkeitsG nicht überhaupt entfallen könnte: So sehe ich nicht, wie seine Einhaltung effizient kontrolliert werden und wie Umgehungen (zB Strohmänner, Ausland) verhindert werden sollten. Damit stellt sich aber die Frage, ob der Regelungskern – Kontrolle außerordentlicher Vermögenszuwächse zur Aufdeckung solcher, die nicht auf eine „reelle“ Wirtschaftsgebarung zurückzuführen sind – nicht ohnehin (soweit überhaupt möglich) durch die Medien (Stichwort „Enthüllungsjournalismus“) auch ohne rechtliche Regelung hinreichend gewährleistet ist.

 

d. Bekleidung leitender Stellungen durch oberste Verwaltungsorgane (§§ 4 und 5)

 

Zu § 4 UnvereinbarkeitsG könnte erwogen werden,

* entweder auf ihn zu verzichten, weil die wesentlichen Fälle ohnehin durch § 2 leg cit (auch) in der oben vorgeschlagenen flexiblen Formulierung erfasst werden,

* oder die Aufzählung des § 4 (in dieser oder in eingeschränkter oder erweiterter Fassung) dem § 2 leg cit (oder seiner Nachfolgerregelung) in folgender Art anzufügen: „Jedenfalls unvereinbar sind …“.

* Ob indes die Aufzählung des § 4 UnvereinbarkeitsG in der Sache rechtspolitisch zu weit oder zu eng geraten ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

 

Die Regelung des § 5 UnvereinbarkeitsG könnte entfallen.

 

Weiters wäre denkbar, die Tätigkeit in Aufsichtsräten von Unternehmen generell zuzulassen, sofern sie bloß ehrenamtlich erfolgt.

 

e. Leitende Stellungen und Legislative (§ 6)

 

1. Die Regelung erscheint angemessen und kann beibehalten werden, zumal sie die gebotene Flexibilität gewährleistet.

 

2. Als Alternative könnte allenfalls erwogen werden:

* Die Pflicht zur (zumindest überwiegenden) Teilnahme an den Sitzungen der jeweiligen gesetzgebenden Körperschaft (§ 11 GOG-NR) bewirkt ohnehin, dass daneben die Bekleidung einschlägiger leitender Stellungen nicht die Regel sein wird.

* Die Beibehaltung des § 6 Abs 4 leg cit schließt die Bezügekumulation im öffentlichen Bereich aus; für Aufsichtsratbezüge aus dem privaten Sektor stellt sich das Problem ohnehin nicht in derselben Weise.

* Das gerneralklauselhafte Verbot des Missbrauchs der Stellung in gewinnsüchtiger Absicht (Art § 9 UnvereinbarkeitsG) schließt im Übrigen wesentliche Mißbräuchsfälle aus.

 

f. Legislative und Dienstverhältnisse zu Gebietskörperschaften (§ 6a)

 

Die Regelung des § 6a soll weniger die Wahrnehmung der parlamentarischen Funktionen, sondern die unbeeinträchtigte Wahrnehmung der dienstlichen Funktionen schützen und hat damit weniger unvereinbarkeitsrechtlichen Charakter (im engeren Sinn), als vielmehr dienstrechtlichen Charakter. Es sollte generell erwogen werden, Dienstverhältnisse zu den Gebietskörperschaften während der Zeit der Wahrnehmung von Abgeordnetenmandaten unter Entfall der Dienstbezüge generell und zur Gänze zu suspendieren (entsprechend Art 23b B-VG); damit wäre eine saubere und leicht zu administrierende Regelung geschafften; eine Diskussion um die Wahrnehmbarkeit von Dienstpflichten neben einem Abgeordnetenmandat wäre vermieden und der nicht seltene Vorwurf in der öffentlichen Meinung, es käme zu ungerechtfertigten Mehrfachbezügen, wäre ausgeräumt (die Abgeordnetenbezüge sollten regelmäßig einer hinreichenden Ausgleich für den Entfall der Dienstbezüge gewährleisten); § 6a UnvereinbarkeitsG könnte damit entfallen.

 

g. Missbrauchsklausel (§ 9)

 

Die Missbrauchsklausel des § 9 ist beizubehalten; die Feststellung des Missbrauchsfalles sollte dem Verfassungsgerichtshof überantwortet werden, der hierüber über Antrag eines Drittels der Nationalratsabgeordneten (gegebenenfalls Landtagsabgeordneten) entscheidet.

 

6. Bundeseinheitlichkeit oder Verländerung (ua Art 19 Abs 2 B-VG)

 

Das materielle wirtschaftliche Unvereinbarkeitsrecht sollte bundeseinheitlich geregelt bleiben.

 

Linz, den 14. Dezember 2003                                                                Andreas Hauer