Österreich-Konvent; Ausschuss 7

 

Vorschlag der Wirtschaftskammer Österreich

zur verfassungsrechtlichen Verankerung der

nichtterritorialen Selbstverwaltung sowie der Sozialpartnerschaft

 

 

I.              Hintergrund

 

Im Unterschied zur territorialen Selbstverwaltung findet die nichtterritoriale Selbstverwaltung keine explizite Rechtsgrundlage in der österreichischen Bundesverfassung. Der Konvent sollte daher eine explizite verfassungsrechtliche Verankerung der nichtterritorialen Selbstverwaltung vorschlagen.

 

Die Sozialpartnerschaft wiederum ist ein wesentlicher Bestandteil der Realverfassung. Auch sie ist verfassungsrechtlich nicht fundiert. Das hat dazu geführt, dass einfachgesetzliche Regelungen wie das Begutachtungsrecht der Kammern, die Teilnahme an der öffentlichen Verwaltung über Kollegialbehörden und Beiräte, die Mitwirkung an der Gerichtsbarkeit durch fachmännische Laienrichter und die kollektivvertragliche Rechtsetzung in der Rechtswissenschaft von einzelnen Autoren als verfassungsrechtlich bedenklich erachtet wurden. Auch insoweit sind verfassungsrechtliche Klarstellungen erforderlich.

 

 

II.         Grundsätze einer Regelung

 

Es ist angezeigt, die Aspekte der nichtterritorialen Selbstverwaltung von der Sozialpartnerschaft getrennt zu behandeln. Die beiden Bereiche berühren einander zwar, doch bestehen einerseits zahlreiche Selbstverwaltungsträger, die nicht zu den Sozialpartnern zählen, während andererseits nicht alle Sozialpartner Selbstverwaltungskörper sind.

 

 

1.     Zur nichtterritorialen Selbstverwaltung

 

Die Verankerung der wesentlichen Strukturmerkmale der nichtterritorialen Selbstverwaltung und der Ausprägungen der wirtschaftlichen und sozialen Selbstverwaltung in der Bundesverfassung ist zweckmäßig.

 

Dazu zählen:

-         Deren prinzipielle Zulässigkeit nach Maßgabe des VfGH-Judikats zur Salzburger Jägerschaft (VfSlg 8215/1977);

-         Pflichtmitgliedschaft;

-         Institutionelle Garantie wirtschaftlicher und sozialer Selbstverwaltung;

-         Eigener und übertragener Wirkungsbereich;

-         Staatliche Aufsicht;

-         Demokratische Binnenstruktur;

-         Finanzielle Selbständigkeit;

-         Privatrechtsfähigkeit.

 

In legistisch-systematischer Hinsicht empfiehlt sich eine Regelung in Anlehnung an die verfassungsrechtlichen Regelungen zu den Gemeinden (derzeit Art 115 ff B-VG). Im Sinne der Transparenz und Systematik sollte sich die Verfassung im Ergebnis in einem separaten Hauptstück den Phänomenen und Ausprägungen territorialer wie nichtterritorialer Selbstverwaltung widmen.

 

Die notwendige Schaffung einer klaren Kompetenzgrundlage für die Errichtung von Selbstverwaltungsträgern ist vom Ausschuss 5 vorzunehmen.

 

 

2.     Zu den Sozialpartnern

 

Im Hinblick auf die Rolle der Sozialpartner verdienen gegenwärtige europäische Verfassungsentwicklungen besondere Beachtung (insb Artikel 47 des Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung für Europa). Eine entsprechende Regelung könnte auf der Ebene von Staatszielbestimmungen erfolgen. Jedenfalls sollte dabei auch auf die typischen sozialpartnerschaftlichen Handlungsformen (insb kollektive Rechtsgestaltung zur umfassenden Regelung der Arbeitsbeziehungen) verwiesen werden.

 

Daneben muss auch im Rahmen der sozialen Grundrechte auf die Sozialpartner Bezug genommen werden. Insbesondere bedarf die kollektive Rechtsgestaltung durch freie Verbände wie insbesondere den ÖGB einerseits und bestimmte Selbstverwaltungsträger andererseits einer grundrechtlichen Absicherung.

 

 

III.    Textskizze

 

1.     Verankerung der nichtterritorialen Selbstverwaltung

 

Es sollte ein neues Hauptstück im B-VG geschaffen werden (Abschnitt C im Vierten Hauptstück des B-VG würde entfallen, das Fünfte, Sechste und Siebente Hauptstück werden zum Sechsten, Siebenten und Achten Hauptstück):

 

 

„Fünftes Hauptstück

Selbstverwaltung

A.  Gemeinden

……

 

B. Nichtterritoriale Selbstverwaltung

 

Artikel [X1]. (1) Durch Gesetz können Personengruppen in Selbstverwaltungsträgern zur selbständigen Wahrnehmung jener Aufgaben zusammengefasst werden, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse dieser Personengruppen gelegen und geeignet sind, durch diese besorgt zu werden.

(2) Zur Sicherung einer wirksamen und umfassenden Vertretung beruflicher, wirtschaftlicher und sozialer Interessen sind gesetzliche Interessenvertretungen der gewerblichen Wirtschaft, der Arbeitnehmer, der Land- und Forstwirtschaft und der freien Berufe als Selbstverwaltungsträger einzurichten.

(3) Zur Sicherung einer wirksamen und umfassenden Vertretung der Versicherten wird die Sozialversicherung im Bereich der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung durch Selbstverwaltungsträger verwaltet.

 

Artikel [X2]. (1) Die Selbstverwaltungsträger haben das Recht, ihre Aufgaben im Rahmen der Gesetze und Verordnungen in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen.

(2) Den zuständigen obersten Organen kommt gegenüber den Selbstverwaltungsträgern bei der Besorgung von deren Aufgaben die Rechtsaufsicht zu.

(3) Selbstverwaltungsträgern können Aufgaben staatlicher Verwaltung unter Bereitstellung der dafür erforderlichen Mittel zur Besorgung übertragen werden. Die Gesetze haben solche Angelegenheiten ausdrücklich als solche des übertragenen  Wirkungsbereichs zu bezeichnen und den Instanzenzug zu regeln.

(4) Die Träger der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Selbstverwaltung haben das Recht, vor der Einbringung von Gesetzesentwürfen in die gesetzgebenden Körperschaften und vor der Erlassung von Verordnungen rechtzeitig angehört zu werden.

(5) Durch Gesetz können geeignete Formen der Mitwirkung der Selbstverwaltungsträger an der staatlichen Vollziehung vorgesehen werden.

 

Artikel [X3]. Die Organe der Selbstverwaltungsträger sind autonom aus dem Kreis der ihnen Angehörenden nach demokratischen Grundsätzen zu bilden.

 

Artikel [X4]. (1) Die gesetzliche Einrichtung der Selbstverwaltungsträger ist so zu gestalten, dass durch die Beiträge der den Selbstverwaltungsträgern angehörenden Personen und, soweit erforderlich, durch sonstige Mittel die Erfüllung ihrer Aufgaben sichergestellt wird. Über die Verwendung dieser Mittel entscheiden die Selbstverwaltungsträger autonom.

(2) Die nichtterritorialen Selbstverwaltungsträger sind selbständige Wirtschaftskörper. Sie können Vermögen aller Art erwerben, besitzen und darüber verfügen.

 

 

2.     Verankerung der Sozialpartnerschaft

 

Im Rahmen von „Staatszielen“ (Schnittstelle zu Ausschuss 1) ist die folgende Einbeziehung der Sozialpartner angezeigt:

 

„Artikel [Y1]. Österreich achtet und fördert die Autonomie und Handlungsformen der Sozialpartner.“