Neutralität als Staatszielbestimmung

 

(1) Nicht ein weniger an Neutralität, sondern ein anderes Verständnis von immerwährender Neutralität greift im Gefolge der Mitgliedschaft Österreichs in der EU Platz. Ein älteres Verständnis von immerwährender Neutralität normiert sekundäre Verpflichtungen sehr weitgehend: etwa die Verpflichtung zu wirtschaftlicher Vorsorge für den Krisenfall; oder Handelspolitik als von immerwährender Neutralität schon zu Friedenszeiten bestimmt. Nunmehr ist immerwährende Neutralität auf den Kern beschränkt, der im BVG Neutralität formuliert ist: kein Beitritt zu militärischem Bündnis und Verbot der Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet.

 

(2) Dogmatisch bedingt immerwährende Neutralität – im Sinne eines jüngeren Verständnisses -- auch „ein Mehr“ als Neutralität und ist nicht Bündnisfreiheit gleich zu setzen. Neutralität beschreibt zunächst den völkerrechtlichen Status eines Staates im Kriegsfall. Die Entscheidung eines Staates, sich nicht an einem militärischen Konflikt zu beteiligen, begründet dessen Neutralität. Die Pflichten des Neutralen sind: (i) Enthaltungspflicht; (ii) Verhinderungspflicht; (iii) Unparteilichkeit; (iv) Duldungspflichten.

Unter Blockfreiheit ist dagegen völkerrechtlich die Entscheidung eines Staates zu verstehen, sich keinem militärischen Bündnis anzuschließen. Diese Entscheidung determiniert jedoch nicht das Verhalten des Blockfreien im Falle kriegerischer Auseinandersetzung.

 

(3) Die Ausgestaltung des Instituts der immerwährenden Neutralität alleine durch die Bundesregierung legt nahe, die immerwährende Neutralität in ihrem rechtlich argumentierbaren Gehalt verbindlich zu formulieren. Dies ermöglichte gegebenen falls auch den korrigierenden Eingriff des VfGH.

 

(4) Ein älteres Verständnis von immerwährender Neutralität ist mit den Verpflichtungen Österreichs aus dem EUV nicht vereinbar. Dies jedoch aus den von der älteren Lehre formulierten Vorkehrungs- und Vorbereitungspflichten des immerwährend neutralen Staates. Das Argument, die Mitgliedschaft in der EU verpflichte etwa zur Teilnahme an Embargos – und führe zur Parteinahme in Friedenszeiten – überzeugt dagegen nicht (siehe unten). Würde das Argument, Österreich sei an Embargobeschlüsse der EU gebunden, auch auf den Falle kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten erweitert, kann von immerwährender Neutralität nicht mehr die Rede sein; nicht einmal mehr von Neutralität.

Das Argument, Österreich sei aus dem EUV verpflichtet, etwa Embargobeschlüsse mit zu tragen, ist jedoch verfehlt. Dieses Argument ist auf Art 301 EGV gestützt und übersieht, dass Art 23 EUV ein spezielles procedere für Beschlüsse über Maßnahmen im Rahmen der GASP normiert. Art 301 EGV normiert das Verfahren nachdem ein gemeinsamer Standpunkt eingenommen oder gemeinsame Aktionen durch den Rat beschlossen wurden. Die Beschlussfassung von gemeinsamen Standpunkten und gemeinsamen Aktionen folgt jedoch dem Verfahren des Art 23 EUV. Österreich ist daher berechtigt -- und aus dem BVG Neutralität verpflichtet --, bei Beschlussfassungen gem Art 23 EUV, sich der Stimme zu enthalten, sollten Beschlüsse des Rates den neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs entgegen stehen. Österreich ist in diesem Fall weiters verpflichtet, eine Erklärung abzugeben, die Stimmenthaltung sei den neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs geschuldet. Dies mit der Konsequenz, dass Österreich nicht verpflichtet ist, einen entsprechenden Beschluss durch zu führen oder sich an Aktionen zu beteiligen. Die in Art 23 Abs 1 EUV normierte Verpflichtung, alles zu unterlassen, „was dem auf diesen Beschluss beruhenden Vorgehen der Union zuwiderlaufen und es behindern könnte“, ist im Sinne der Enthaltungspflicht des Neutralen zu interpretieren und zu handhaben. Sowohl der erste als auch der zweite Absatz des Art 23 EUV räumen Österreich ausreichenden Spielraum zur Erfüllung der neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen ein.

 

(5) Die Mitwirkung Österreichs an „Maßnahmen (..), mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden“ (Art 23 f B-VG) ist im Lichte der Verpflichtungen Österreichs aus der Charta der Vereinten Nationen zu interpretieren. Dieser Interpretationsrahmen ist dem EUV immanent. Verwiesen sei auf Art 11 EUV. Die Wahrung der Interessen der EU hat ebenso „im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“ zu erfolgen, wie die Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit.

Die Teilnahme Österreichs an Maßnahmen der UN in der schon vor dem Beitritt Österreichs zur EU praktizierten Weise ist jedenfalls auch innerhalb der EU – soweit in Einklang mit der Charta der UN – unbedenklich. Ebenso erscheint die Teilnahme an Maßnahmen der EU möglich, soweit diese in Erfüllung von Beschlüssen der UN erfolgen. Dies auch an Maßnahmen, welche der Qualität nach über die vor 1995 eingehaltenen Restriktionen hinausgehen. Dies sind „friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ (Art 23 f B-VG). Qualität und Quantität der zur Teilnahme an derartigen Maßnahmen von Österreich bereitgestellten Ressourcen bestimmt Österreich (Helsinki Accords).

 

(6) Die immerwährende Neutralität bestimmt die Teilnahme Österreichs an der GASP demnach inhaltlich. Der Inhalt dieser Neutralität wird im Sinne der Friedensordnung der UN konkretisiert, soweit Österreich die Teilnahme an Maßnahmen im Rahmen der GASP, gem Art 17 EUV zu erwägen hat.

Bei Beibehaltung des BVG Neutralität sollte eine Novelle des Art 23 f B-VG dies präzisieren:

 

Art 23 f. (1) (.....) Dies schließt die Mitwirkung an Aufgaben gemäß Art 17 Abs. 2 dieses Vertrages sowie an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden, soweit diese Maßnahmen in Erfüllung eines Mandates der Vereinten Nationen erfolgen. (.....).

(2) (.....)

(3) An Beschlüssen betreffend friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen kann Österreich mitwirken, soweit derartige Beschlüsse in Erfüllung eines Mandates der Vereinten Nationen gefasst werden.

(4) (.....).

           

 

Leo Specht