o  univ  prof  ddr

heinz  mayer


 

 

 

Herrn Sektionschef
Univ.-Prof. Dr. Gerhart Holzinger
Vorsitzender des Ausschusses 3
des Österreich-Konvents

 

per e-mail: clemens.mayr@konvent.gv.at

 

Wien, am 17. November 2003

 

 

Sehr geehrter Herr Sektionschef, lieber Gerhart!

 

In der 2. Ausschusssitzung am 14. Oktober 2003 wurde ich ersucht, meine Überlegungen zu einer allfälligen Neugestaltung des Amtes des Bundespräsidenten schriftlich darzulegen. Ich komme diesem Ersuchen nach und erlaube mir Folgendes festzuhalten:

1.  Derzeit sind die grundlegenden und wichtigsten Kompetenzen an der Staatsspitze zwischen drei Organen geteilt: Dem Nationalrat, der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten. Während die Bundesregierung und der Nationalrat im Wesentlichen von denselben politischen Kräften getragen werden und daher in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, ist das beim Bundespräsidenten - zumindest potentiell - nicht der Fall. Der Bundespräsident kann gegenüber dem Nationalrat und der Bundesregierung eine gewisse Unabhängigkeit haben. Diese Unabhängigkeit ist ein Element der Gewaltenteilung im modernen Sinn und befähigt den Bundespräsidenten gegenüber dem Nationalrat und der Bundesregierung zumindest eine gewisse kontrollierende Funktion auszuüben.

Schon allein aus diesem Grund sollte eine entscheidende Schwächung des Amtes des Bundespräsidenten nicht erwogen werden. Eine ersatzlose Ausschaltung des Bundespräsidenten an der Staatsspitze würde die alleinige Macht bei den politischen Kräften konzentrieren, die die Bundesregierung stellen und im Regelfall die Mehrheit des Nationalrats hinter sich haben.

Für die Stellung des Bundespräsidenten im derzeitigen Verfassungsgefüge sind drei Kompetenzen von zentraler Bedeutung:

Þ    die Bestellung der Bundesregierung;

Þ    die Abberufung der Bundesregierung;

Þ    die Auflösung des Nationalrates.

Diese Kompetenzen des Bundespräsidenten werden durch die Direktwahl des Bundespräsidenten politisch legitimiert und finden - umgekehrt - in dieser ihre Rechtfertigung. Wollte man diese Kompetenzen entscheidend verändern, wäre eine Direktwahl des Bundespräsidenten nicht mehr gerechtfertigt.

2.  Es liegt auf der Hand, dass derart weitreichende Kompetenzen eines monokratischen Staatsorgans einer sorgfältigen und kritischen Betrachtung bedürfen. Insbesondere ist zu fragen, welche Regeln die Verfassung für einen allfälligen politischen Konflikt zwischen dem Bundespräsidenten und der Nationalratsmehrheit/der Bundesregierung bereithält. Folgendes ist vorgesehen:

Þ    Kommt es bei der Bestellung der Bundesregierung zu einem Konflikt zwischen der Nationalratsmehrheit und dem Bundespräsidenten, so findet die „Macht“ des Bundespräsidenten in der Nationalratsmehrheit ihren Meister. Der Bundespräsident kann keine Bundesregierung ernennen, die nicht vom Vertrauen der Mehrheit des Nationalrats getragen wird. Diese könnte ohne Angaben von Gründen jeder Bundesregierung, die ihr nicht genehm ist, das Misstrauen aussprechen, was den Bundespräsidenten zur unverzüglichen Enthebung dieser Bundesregierung verpflichtet. Die Bundesregierung bedarf also politisch der „doppelten Legitimation“; sie bedarf sowohl des Vertrauens des Nationalrats wie auch des Vertrauens des Bundespräsidenten.

       Im Konfliktfall kann der Bundespräsident seinen Willen allenfalls dadurch durchzusetzen versuchen, dass er eine ihm genehme Bundesregierung ernennt, die ihm den Vorschlag erstattet den Nationalrat aufzulösen. Löst der Bundespräsident den Nationalrat auf, so führt dies zu Neuwahlen. Der Bundespräsident darf den Nationalrat nur einmal aus dem gleichen Anlass auflösen (Art  29 Abs 1 B‑VG).

       Weigert sich der Bundespräsident im Konfliktfall eine Bundesregierung zu ernennen, die von der Mehrheit des Nationalrats gewünscht wird, so kann sich die Mehrheit des Nationalrats gegen den Bundespräsidenten rechtlich nicht durchsetzen. Es besteht zwar die Möglichkeit die politische Verantwortung des Bundespräsidenten gem Art 60 Abs 6 B‑VG geltend zu machen, doch bedarf ein solcher Beschluss des Nationalrats der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen.

       Dies erscheint unzweckmäßig; man sollte der einfachen Mehrheit des Nationalrats die Möglichkeit geben eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten zu initiieren. Die Konfliktlinien bei der Bestellung der Bundesregierung verlaufen im Regelfall nicht zwischen einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat und dem Bundespräsidenten sondern zwischen einer einfachen Mehrheit und dem Bundespräsidenten; daher sollte auch der einfachen Parlamentsmehrheit ein Instrument zur Verfügung stehen, einen politischen Konflikt mit dem Bundespräsidenten einer Lösung über eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten zuzuführen. Art 60 Abs 6 B‑VG sollte in diesem Sinn geändert werden. Durchaus fraglich ist, ob man weiterhin gem Art 60 Abs 6 B‑VG einen Beschluss der Bundesversammlung vorsehen soll; letztlich wird die Beantwortung dieser Frage auch davon abhängen müssen, nach welchem Konzept der Bundesrat künftig gestaltet ist. Nach meiner Auffassung könnte man der einfachen Nationalratsmehrheit die Kompetenz einräumen eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten zu beschließen. Der Mitwirkung weiterer Organe bedarf es nicht. Durchaus sinnvoll ist die Anordnung des geltenden Rechts, dass die Ablehnung der Absetzung des Bundespräsidenten durch die Volksabstimmung die Auflösung des Nationalrats zur Folge hat. Diese Regelung verhindert, dass eine einfache Parlamentsmehrheit allzu leichtfertig von diesem weitreichenden Instrument Gebrauch macht.

Þ    Eine Auflösung des Nationalrates durch den Bundespräsidenten gem Art 29 Abs 1 B‑VG bedarf eines Vorschlags der Bundesregierung. Die Inanspruchnahme dieser Kompetenz durch den Bundespräsidenten setzt also im Allgemeinen voraus, dass ein politischer Konflikt zwischen dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung einerseits und der Nationalratsmehrheit besteht. Ein solcher Fall wird indes selten eintreten. Der Bundespräsident kann aber eine amtierende Bundesregierung jederzeit entlassen und eine neue - ihm genehme - Bundesregierung bestellen, die ihm einen derartigen Vorschlag erstattet. Da dies sehr rasch erfolgen kann, kann der Nationalrat eine solche Vorgangsweise des Bundespräsidenten mit einem Misstrauensvotum kaum verhindern. Der Bundespräsident kann also eine Auflösung des Nationalrats herbeiführen, ohne dass er daran rechtlich ernstlich behindert werden könnte.

       Zu beachten ist aber, dass die Auflösung des Nationalrats nur einmal aus dem gleichen Anlass verfügt werden darf. Eine nochmalige Auflösung wäre verfassungswidrig. Die Auflösung des Nationalrats nach Art 29 Abs 1 B‑VG hat zu Neuwahlen zu führen. Dies bedeutet, dass der Bundespräsident eine solche Maßnahme sinnvoller Weise nur dann wird setzen können, wenn er zur Überzeugung gelangt, dass die bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat nicht mehr vom politischen Willen der Bevölkerung getragen werden.

Þ    Mit der Befugnis eine amtierende Bundesregierung jederzeit abberufen zu können, ist dem Bundespräsidenten einen weitreichendes Instrument in die Hand gegeben. Freilich muss der Bundespräsident diesfalls eine neue Bundesregierung bestellen, die des Vertrauens des Nationalrates bedarf. Darüber hinaus soll die Nationalratsmehrheit die Möglichkeit haben, in einem derartigen politischen Konflikt mit einfacher Mehrheit eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten zu initiieren. Art 60 Abs 6 B‑VG soll in diesem Sinne geändert werden.

3.  Eine Veränderung der unter 1. genannten Befugnisse des Bundespräsidenten würde die rechtliche Ordnung der Staatsmacht an der Spitze der Republik verändern; ich sehe für eine solche Neuregelung keine Notwendigkeit.

4.  Was die sonstigen Kompetenzen des Bundespräsidenten betrifft sind Neuregelungen durchaus überlegenswert. Geht man davon aus, dass die Kernkompetenzen des Bundespräsidenten und damit das Amt in seiner bestehenden rechtlichen Bedeutung erhalten bleibt, so wären dem Bundespräsidenten zusätzlich wohl auch weiterhin folgende Zuständigkeiten vorzubehalten:

Þ    die völkerrechtliche Vertretung der Republik (Art 65 Abs 1 B‑VG);

Þ    bestimmte Befugnisse in Personalangelegenheiten (Ernennung der Höchstrichter etc);

Þ    die Angelobung der Regierungsmitglieder, Staatssekretäre und Landeshauptmänner;

Þ    der Oberbefehl über das Bundesheer.

Þ    Gegen den relativ klaren Wortlaut des Art 47 Abs 3 B‑VG nimmt die überwiegende Lehre neuerdings an, dass der Bundespräsident bei der Beurkundung von Gesetzesbeschlüssen des NR - in gewissem Umfang - auch ein materielles Prüfungsrecht hat. Ein solches Prüfungsrecht ist - abgesehen von der dogmatischen Verfehltheit dieser Auffassung - verfassungspolitisch abzulehnen. Es sollte eine Neuformulierung des Art 47 Abs 3 B‑VG gesucht werden, die noch deutlicher lediglich ein ausschließlich formelles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten vorsieht.

Entbehrlich erscheinen die Befugnisse des Bundespräsidenten den Nationalrat einzuberufen, die Tagung des Nationalrats für beendet zu erklären, die Exekution der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes durchzuführen, Begnadigungen auszusprechen, Berufstitel zu schaffen und zu verleihen, Amtstitel zu verleihen, Ehelicherklärungen auszusprechen sowie seine sonstigen Befugnisse in Personalangelegenheiten. Ob und inwieweit man diese Befugnisse beibehält ist von geringer staatsrechtlicher Bedeutung.

Ich verbleibe mit den besten Empfehlungen

Heinz Mayer