DDr. Karl Lengheimer

 

Der Bundespräsident

(Reformüberlegung)

 

I. Einleitung

Die Verfassungsinstitution des BP ist von ihrer Entstehung an nicht unumstritten. Schon damals bestanden Bedenken gegen ein monokratisches Organ mit der Aufgabe, das gesamte Staatsvolk zu repräsentieren. Andererseits war schwer vorstellbar, unmittelbar nach Ende der Monarchie den Staat ohne obersten Repräsentanten einzurichten.

 

In der 2. Republik mutierte der BP zu einem vom Volk gewählten und daher dieses repräsentierende oberstes Kontrollorgan gegenüber der Parteienpolitik, dem die Aufgabe zugewiesen wurde, Missstände aufzuzeigen und auch in mehr oder weniger tagespolitischen Fragen mahnend die Stimme zu erheben. Diese Erwartungshaltung wurde sowohl in Wahlkämpfen („Macht braucht Kontrolle“) als auch in Reden amtierender Präsidenten („saure Wiesen“) aufgegriffen. Dieses Bild des Staatsoberhauptes findet freilich in der  verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Institution keine Entsprechung, wenn man von dem massiven Eingriff einer Abberufung des Bundeskanzlers absieht.

 

Es besteht daher derzeit hinsichtlich des BP eine beträchtliche Kluft zwischen politischen Anspruch und verfassungsdogmatischer Realität.

 

Aufgabe des Verfassungskonvents müsste sein, diese Kluft zu überbrücken.

 


II. Aufgabenstruktur

Für die folgenden Überlegungen seien die Aufgaben des BP in vier Bereiche gegliedert:

 

1.      Aufgaben des BP als Vertreter des Staates nach außen und als Staatsoberhaupt

Hierunter fallen die für ein Staatsoberhaupt typischen Aufgaben, wie die Vertretung des Staates nach außen (Artikel 65 Abs. 1 B-VG), Ernennungsrechte und die Verleihung von Berufstiteln (Artikel 65 Abs. 2 B-VG), die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der Bundesgesetze (Artikel 47 Abs. 1 B-VG), die Angelobung bzw. Ernennung oberster Staatsorgane
(Artikel 72 Abs. 1, 101 Abs. 4, 122 Abs. 4 oder 147 B-VG).

 

2.      Bestellungs- und Interventionsrechte gegenüber anderen Verfassungsorganen

Hiezu gehören insbesondere die Einberufung und Beendung der Tagungen des Nationalrates (Artikel 28 B-VG), die Bestellung der Mitglieder der Bundesregierung (Artikel 70 B-VG), die Betrauung im Fall zeitweiliger Verhinderung von Bundesregierungsmitgliedern (Artikel 73 B-VG), die Auflösung des Nationalrates gemäß Artikel 29 Abs. 1 B-VG, sowie die Ernennung von Höchstrichtern.

 

3.      Tradierte Vorrechte

Dabei handelt es sich um größten Teil aus der Monarchie stammende und ins republikanische Staatswesen übernommene Vorrechte des Staatsoberhauptes, wie Begnadigung, Niederschlagung von Strafverfahren, Rechtsfolgennachsicht, Tilgung oder Ehelicherklärung (Artikel 65 Abs. 2 B-VG).

 

4.      Krisenintervention

Darunter werden hier Aufgaben verstanden, die die Funktionsweise der Staatsorgane oder den Prozess der staatlichen Willensbildung sichern sollen, wie das Notverordnungsrecht (Artikel 18 Abs. 3 B-VG), die Fortführung der Verwaltung bei Ausscheiden der Bundesregierung (Artikel 71 B-VG), die Amtsenthebung der Bundesregierung bei Misstrauensvotum (Artikel 74 B-VG) oder die Exekution der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes (Artikel 146 B-VG).

III. Reformvorschläge

Die nachstehenden Vorschläge setzen voraus, dass ein monokratisches, direkt vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt (Artikel 60 Abs. 1 B-VG) außer Streit steht.

 

Die Reformüberlegungen sollten unter dieser Voraussetzung in drei Richtungen gehen:

1.      Dem BP sollen keine Staatsaufgaben zugewiesen werden, die ihm einen dominierenden Einfluss gegenüber anderem direkt oder indirekt demokratisch legitimierten Staatsorganen einräumen, insbesondere dann wenn, letztere kollegial organisiert sind.

2.      Dem BP soll dessen ungeachtet die Möglichkeit eingeräumt sein, im Interesse des von ihm repräsentierten Bundesvolkes Missstände aufzuzeigen, Gesetzes- oder Vollziehungsmängeln Abhilfe zu schaffen und positiv rechtlich entstandene Härten zu beseitigen.

3.      Der BP soll seine Aufgaben – im Hinblick auf seine hohe demokratische Legitimation - im Interesse einer einfachen und sparsamen Verwaltung möglichst autonom besorgen können.

 

Daraus ergeben sich nachstehende konkrete verfassungsrechtliche Änderungen:

·        Die unter II 2 erwähnten Bestellungs- und Interventionsrechte gegenüber anderen Verfassungsorganen sollten weitgehend entfallen. Bestellungs- und Endigungsgründe des Bundeskanzlers und der Mitglieder der Bundesregierung sollten ausschließlich der Hoheit des Nationalrates unterstellt sein. Eine Auflösung des Nationalrates durch den BP könnte auf den Fall beschränkt bleiben, dass der Nationalrat über die im Artikel 18 Abs. 3 B-VG genannten Fälle hinaus nicht mehr in der Lage ist, seine Tätigkeit auszuüben. Die Einberufung zu den Tagungen des Nationalrates bzw. deren Beendigung sollte ebenfalls diesem bzw. dem Präsidenten oder dem Präsidium überlassen bleiben.

 

·        Die tradierten Vorrechte (Punkt II 3) sollten dem BP unter den im Punkt III 2 genannten Voraussetzungen ohne Vorschlag eines obersten Vollzugsorgans möglich sein. Der BP sollte bei der Durchführung dieser Aufgaben unter anderem Initiativrechte an die gesetzgebenden Körperschaften, außerordentliche Rechtsmittel, Resolutionen, Anregungen u. dgl. einbringen können.

·        Die Aufgaben des BP als Vertreter des Staates (Punkt II 1) sollten grundsätzlich bestehen bleiben. Im Interesse der Einfachheit der Verwaltung sollten aber Ernennungsrechte auf die jeweils obersten Organe bzw. Organwalter beschränkt sein.

 

·        Die unter Punkt II 4 genannten Aufgaben der Krisenintervention sollten beibehalten werden.

 

November 2003