(Reformüberlegung)
Die Verfassungsinstitution des BP ist von ihrer Entstehung an nicht
unumstritten. Schon damals bestanden Bedenken gegen ein monokratisches Organ
mit der Aufgabe, das gesamte Staatsvolk zu repräsentieren. Andererseits war
schwer vorstellbar, unmittelbar nach Ende der Monarchie den Staat ohne obersten
Repräsentanten einzurichten.
In der 2. Republik mutierte der BP zu einem vom Volk gewählten und daher
dieses repräsentierende oberstes Kontrollorgan gegenüber der Parteienpolitik,
dem die Aufgabe zugewiesen wurde, Missstände aufzuzeigen und auch in mehr oder
weniger tagespolitischen Fragen mahnend die Stimme zu erheben. Diese
Erwartungshaltung wurde sowohl in Wahlkämpfen („Macht braucht Kontrolle“) als
auch in Reden amtierender Präsidenten („saure Wiesen“) aufgegriffen. Dieses
Bild des Staatsoberhauptes findet freilich in der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Institution keine
Entsprechung, wenn man von dem massiven Eingriff einer Abberufung des
Bundeskanzlers absieht.
Es besteht daher derzeit hinsichtlich des BP eine beträchtliche Kluft
zwischen politischen Anspruch und verfassungsdogmatischer Realität.
Aufgabe des Verfassungskonvents müsste sein, diese Kluft zu überbrücken.
Für die folgenden Überlegungen seien die Aufgaben des BP in vier
Bereiche gegliedert:
1.
Aufgaben
des BP als Vertreter des Staates nach außen und als Staatsoberhaupt
Hierunter fallen die für ein
Staatsoberhaupt typischen Aufgaben, wie die Vertretung des Staates nach außen (Artikel
65 Abs. 1 B-VG), Ernennungsrechte und die Verleihung von Berufstiteln (Artikel
65 Abs. 2 B-VG), die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der
Bundesgesetze (Artikel 47 Abs. 1 B-VG), die Angelobung bzw. Ernennung oberster
Staatsorgane
(Artikel 72 Abs. 1, 101 Abs. 4, 122 Abs. 4 oder 147 B-VG).
2.
Bestellungs-
und Interventionsrechte gegenüber anderen Verfassungsorganen
Hiezu gehören insbesondere die
Einberufung und Beendung der Tagungen des Nationalrates (Artikel 28 B-VG), die
Bestellung der Mitglieder der Bundesregierung (Artikel 70 B-VG), die Betrauung
im Fall zeitweiliger Verhinderung von Bundesregierungsmitgliedern (Artikel 73
B-VG), die Auflösung des Nationalrates gemäß Artikel 29 Abs. 1 B-VG, sowie die
Ernennung von Höchstrichtern.
3.
Tradierte
Vorrechte
Dabei handelt es sich um größten
Teil aus der Monarchie stammende und ins republikanische Staatswesen
übernommene Vorrechte des Staatsoberhauptes, wie Begnadigung, Niederschlagung
von Strafverfahren, Rechtsfolgennachsicht, Tilgung oder Ehelicherklärung
(Artikel 65 Abs. 2 B-VG).
4.
Krisenintervention
Darunter werden hier Aufgaben
verstanden, die die Funktionsweise der Staatsorgane oder den Prozess der
staatlichen Willensbildung sichern sollen, wie das Notverordnungsrecht (Artikel
18 Abs. 3 B-VG), die Fortführung der Verwaltung bei Ausscheiden der
Bundesregierung (Artikel 71 B-VG), die Amtsenthebung der Bundesregierung bei
Misstrauensvotum (Artikel 74 B-VG) oder die Exekution der Erkenntnisse des
Verfassungsgerichtshofes (Artikel 146 B-VG).
Die nachstehenden Vorschläge setzen voraus, dass ein monokratisches,
direkt vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt (Artikel 60 Abs. 1 B-VG) außer Streit
steht.
Die Reformüberlegungen sollten unter dieser Voraussetzung in drei
Richtungen gehen:
1.
Dem BP
sollen keine Staatsaufgaben zugewiesen werden, die ihm einen dominierenden
Einfluss gegenüber anderem direkt oder indirekt demokratisch legitimierten
Staatsorganen einräumen, insbesondere dann wenn, letztere kollegial organisiert
sind.
2.
Dem BP
soll dessen ungeachtet die Möglichkeit eingeräumt sein, im Interesse des von
ihm repräsentierten Bundesvolkes Missstände aufzuzeigen, Gesetzes- oder
Vollziehungsmängeln Abhilfe zu schaffen und positiv rechtlich entstandene
Härten zu beseitigen.
3.
Der BP
soll seine Aufgaben – im Hinblick auf seine hohe demokratische Legitimation -
im Interesse einer einfachen und sparsamen Verwaltung möglichst autonom
besorgen können.
Daraus ergeben sich nachstehende konkrete verfassungsrechtliche Änderungen:
·
Die
unter II 2 erwähnten Bestellungs- und Interventionsrechte gegenüber anderen
Verfassungsorganen sollten weitgehend entfallen. Bestellungs- und
Endigungsgründe des Bundeskanzlers und der Mitglieder der Bundesregierung
sollten ausschließlich der Hoheit des Nationalrates unterstellt sein. Eine
Auflösung des Nationalrates durch den BP könnte auf den Fall beschränkt
bleiben, dass der Nationalrat über die im Artikel 18 Abs. 3 B-VG genannten
Fälle hinaus nicht mehr in der Lage ist, seine Tätigkeit auszuüben. Die
Einberufung zu den Tagungen des Nationalrates bzw. deren Beendigung sollte
ebenfalls diesem bzw. dem Präsidenten oder dem Präsidium überlassen bleiben.
·
Die
tradierten Vorrechte (Punkt II 3) sollten dem BP unter den im Punkt III 2
genannten Voraussetzungen ohne Vorschlag eines obersten Vollzugsorgans
möglich sein. Der BP sollte bei der Durchführung dieser Aufgaben unter anderem
Initiativrechte an die gesetzgebenden Körperschaften, außerordentliche
Rechtsmittel, Resolutionen, Anregungen u. dgl. einbringen können.
·
Die
Aufgaben des BP als Vertreter des Staates (Punkt II 1) sollten grundsätzlich
bestehen bleiben. Im Interesse der Einfachheit der Verwaltung sollten aber
Ernennungsrechte auf die jeweils obersten Organe bzw. Organwalter beschränkt
sein.
·
Die
unter Punkt II 4 genannten Aufgaben der Krisenintervention sollten beibehalten
werden.
November 2003