Hannes
Tretter
Leiter des
Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte
namens der
Österreichischen Liga für Menschenrechte
Vorschläge an den Österreich Konvent am 21. November
2003
A. Anregungen
für eine Neukodifizierung der Grundrechte
1.
Spezielle Transformation
internationaler und europäischer menschenrechtlicher Übereinkommen durch
Erlassung entsprechender Grundrechtsbestimmungen –
soweit nicht oder unzureichend erfolgt – um die völker- und europarechtlichen
Verpflichtungen Österreichs besser als bisher zu erfüllen (zB Europäische
Grundrechtecharta, Europäische Datenschutzkonvention, Europäisches Rahmenübereinkommen
zum Schutz nationaler Minderheiten, UN Rassendiskriminierungskonvention, UN
Frauenrechtekonvention, UN Kinderrechtekonvention).
2.
Verankerung grundlegender sozialer und
wirtschaftlicher Rechte in der Verfassung und deren
Durchsetzbarkeit vor den Höchstgerichten; maßgebend sind dabei die
Europäische Sozialcharta und der UN Pakt über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte; da es in Österreich ein gut entwickeltes „soziales Netz“ mit
subjektiven Ansprüchen im Arbeits- und Sozialrecht gibt, sollte die
Durchsetzung dieser Rechte als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte möglich
sein (zB Recht auf Notstandshilfe); Rechte, die aus marktwirtschaftlichen
Gründen nicht durchsetzbar sind (zB Recht auf Arbeit), können indirekt über prozessuale
Garantien oder vorgelagerte oder in einem engeren Zusammenhang stehende Rechte
mitgeschützt werden (zB flankierender Schutz des Rechts auf Arbeit durch ein
subjektives Recht auf Zugang zum staatlichen Arbeitsmarktservice);
Justitiabilität durch Ermessensspielraum des Gesetzgebers möglich, der vom VfGH
in seiner Rechtsprechung stets gewahrt wird.
3.
Neukodifikation des Schutzes der Volksgruppen
unter Einschluss des Europäischen Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler
Minderheiten und der Europäischen Sprachencharta;
Öffnung des Volksgruppenschutzes für „neue Minderheiten“, d.h.
Minderheitenangehörige mit österreichischer Staatsangehörigkeit ab der dritten
Generation, wenn sie in Österreich „traditionell ansässig“ sind, im Rahmen
eines verfassungsgesetzlich vorgesehenen Anerkennungsverfahrens.
4.
Verankerung des Rechts auf Asyl und
bestimmter zentraler materieller Rechte (zB Versorgung der Flüchtlinge) der GFK
in der Verfassung; Schaffung einer Ombudsperson für
Flüchtlinge.
5.
Einführung eines nach Aufenthaltsdauer
gestaffelten Wahlrechts für Ausländer auf Gemeinde-, Landes und
Bundesebene.
6.
Verankerung des 12. Zusatzprotokolls
zur EMRK (allgemeines Recht auf Gleichbehandlung) und Ausbau des
Diskriminierungsschutzes in der Verfassung; sachlich gerechtfertigte
Unterscheidungen aufgrund der Staatsangehörigkeit bleiben prinzipiell möglich.
B. Anregungen
zur Verbesserung des Grundrechtsschutzes
7.
Verfassungsrechtliche Ansiedelung
eines neu organisierten Menschenrechtsbeirates beim Nationalrat, der nur diesem verantwortlich ist und im Sinne des 1.
Fakultativprotokolls zur UN Konvention gegen Folter zuständig ist, die
Anhaltung von Menschen durch Sicherheitsorgane, im Bereich der Justiz und durch
sonstige ermächtigte Organe, Institutionen und Personen (zB beim Bundesheer, in
Krankenhäusern, psychiatrischen Anstalten, Altenheimen, Jugendheimen, etc.,
Stichwort „besondere Rechts- oder Gewaltverhältnisse“) zu überwachen, zu
überprüfen und präventiv zu begleiten; Aufgabe, den Nationalrat und Bundesrat
sowie die Bundesregierung und die Bundesministerien in menschenrechtlichen
Angelegenheiten zu beraten und selbständig Vorschläge, Berichte vorzulegen und
Gutachten zu erstatten; umfassendes Einsichts- und Auskunftsrecht bei allen
Behörden und ermächtigten Organen; Recht zur Antragstellung auf Normenkontrolle
beim VfGH (siehe Punkt 9).
8.
Einführung von
Grundrechtsbeschwerdemöglichkeiten gegen Bescheide von
Verwaltungsbehörden vor dem VwGH, gegen Urteile von Gerichten vor dem OGH,
die organisatorisch, personell und im Rahmen der Ausbildung auf die Übernahme
der Grundrechtsgerichtsbarkeit vorzubereiten sind. Dadurch Entlastung des VfGH,
dessen Normenkontrollfunktion im Gegenzug ausgeweitet werden soll (siehe Punkt
9).
9.
Erweiterung der Normprüfungskompetenz
des VfGH durch:
·
individuelles Antragsrecht auf
Normenkontrolle nach Entscheidungen des VwGH und des OGH, wenn die
Verfassungswidrigkeit der vor dem VwGH oder OGH präjudiziellen gesetzlichen
Bestimmungen behauptet wird; Ablehnung durch VfGH möglich;
·
auf Antrag des Menschenrechtsbeirates;
·
auf Antrag eines Drittels der Mitglieder
des National- oder Bundesrates sowie des Menschenrechtsbeirates vor
Inkrafttreten gesetzlicher Bestimmungen (präventive Normenkontrolle).
10. Einführung von Verbandsklagen, „public
interest motions“, auf verfassungsrechtlicher Ebene (auch vor Höchstgerichten)
für – auf den Schutz bestimmter (insbesondere benachteiligter, gefährdeter und
sozial schwacher) Personengruppen spezialisierte – nicht-staatliche
Organisationen zur Geltendmachung von Grundrechtsverletzungen, die typisch und
gehäuft Angehörige bestimmter Personengruppen treffen, und zur Vertretung von Angehörigen
solcher Gruppen; Verankerung der Möglichkeit für Interessensvertretungen auch „kollektive“
Rechtsansprüche bzw. objektives Recht durchzusetzen (zB im
Volksgruppenbereich, etwa auf topographische Aufschriften).
11. Verbesserung des Rechtsschutzes im Bereich von Datenerfassung und
Überwachungstechnologien durch Einrichtung einer mit
modernen technischen und elektronischen Mitteln sowie effektiven rechtlichen
Kompetenzen ausgestatteten Ombudsperson; Einräumung umfassender präventiver und
nachprüfender Kompetenzen.
12. Da der Staat öffentliche Aufgaben zunehmend auslagert/privatisiert,
muss sichergestellt werden, dass die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch
Private auch den grundrechtlichen Garantien unterliegt; die wachsende Gefährdung
von Menschenrechten durch globalisierte, international agierende Konzerne und
Unternehmen sollte zu Überlegungen führen, diese auch verfassungsrechtlich
an gewisse grundrechtliche Garantien zu binden (etwa durch die Verpflichtung
zur Ausarbeitung von „codes of conduct“).
13. Regeln über Staatshaftung bei Grundrechtsverletzungen in
Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung zur Staatshaftung.
14. Sämtliche Rechtsbereiche umfassende verfassungsgesetzliche Regeln zur Umsetzung
von Urteilen des EGMR, sowohl im Anlassfall mit „restitutio in integrum“
als auch für den legislativen Bereich.
15. Verfassungsgesetzliche Regelung der „vierten und fünften Gewalt“
in Staat und Gesellschaft, nämlich Medien und Wirtschaft, im Sinne von Gewaltenteilung
und Gewaltenkontrolle, v.a. durch Erlassung von Unvereinbarkeitsbestimmungen,
um damit Gefährdungen der in einem untrennbaren Zusammenhang und in
wechselseitiger Bedingtheit stehenden „Trias“ Demokratie – Rechtsstaat –
Menschenrechte durch eine Machtkonzentration von Politik, Medien und Wirtschaft
entgegenzuwirken.