Sehr geehrter Herr Universitätsdozent!

 

Zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen nehme ich wie folgt Stellung:

 

Zu Frage 1:

In den in den "3. Kompetenzbereich" fallenden Angelegenheiten sollte die Zuständigkeit zur Gesetzgebung grundsätzlich bei den Ländern liegen. Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers sollte derart umschrieben werden, dass ein Höchstmaß an "Flexibilität" erreicht wird, etwa mit einer weit gefassten Formulierung nach  dem Muster: "so weit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird"; mE sollte nämlich die nähere Abgrenzung der Bundes- von der Landeskompetenz so weit wie möglich im Wege der Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung, also "politisch", und nicht im Wege der Auslegung von Kompetenzbegriffen, also "juristisch", bestimmt werden. Dies würde nicht ausschließen, dass eine - im Hinblick auf die inhaltliche Umschreibung der Reichweite der Bundeskompetenz durch den Bundesverfassungsgesetzgeber - "exzessive" Gebrauchnahme des Bundesgesetzgebers von seiner Kompetenz der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt. Eine derart allgemein gehaltene Formulierung zur Umschreibung der Bundeszuständigkeit "im 3. Kompetenzbereich" sollte alle zweckmäßiger Weise in Betracht kommenden "Typen" bundesgesetzlicher Regelungen (etwa solche zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" oder zur "Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftsgebieteinheit im gesamtstaatlichen Interesse", aber auch eine "Ziel- und/oder Rahmengesetzgebung" oder eine "Grundsatzgesetzgebung") ermöglichen. Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre darüber hinaus wohl auch eine bundesverfassungsgesetzliche Regelung nach dem Muster "Bundesrecht bricht Landesrecht" erforderlich, so wie sie auch andere bundesstaatliche Verfassungen vorsehen.

 

Es liegt auf der Hand, dass es bei diesem Konzept ganz wesentlich auf die Möglichkeit der Länder ankommt, an der Bundesgesetzgebung effektiv mitzuwirken. Diesbezüglich verweise ich auf meinen Vorschlag zur Frage 2.

 

Einer Diskussion wert wäre mE auch die Überlegung, "im 3. Kompetenzbereich" die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers (überhaupt) nicht inhaltlich abzugrenzen, sondern die Abgrenzung, etwa mit der Formel "so lange und so weit nicht der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat", dem "freien Spiel der Kräfte" im Rahmen des (notwendiger Weise: kooperativen) Verfahrens der Bundesgesetzgebung zu überlassen.

 

Zu Frage 2:

 

Sowohl im Hinblick auf die zu Frage 1 angestellten Überlegungen als auch mit Blick auf eine allfällige Erweiterung der Zuständigkeiten der Länder auf dem Gebiet der Verwaltung (etwa im Zusammenhang mit einer allfälligen "Abschaffung" der mittelbaren Bundesverwaltung) käme der Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung gesteigerte Bedeutung zu, und zwar unter dem Gesichtpunkt der Begrenzung der Bundesgesetzgebung "im 3. Kompetenzbereich" ebenso wie unter dem Aspekt der Einbeziehung des know-how der Länder bei der (autonomen) Vollziehung von Bundesgesetzen in den Prozess der Bundesgesetzgebung.

 

Ausgehend davon, dass die Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung im Wege des Bundesrates erfolgen soll, wäre dieses Organ sowohl in organisatorischer als auch in funktioneller Hinsicht diesen spezifischen Anforderungen entsprechend fort zu entwickeln. Organisatorisch müsste insbesondere gewährleistet werden, dass die Interessen der Länder, insbesondere auch im Hinblick auf ihre Kompetenz zur Vollziehung von Bundesgesetzen, effektiv gewahrt werden können. Ob dies für eine Einbindung der Landesregierungen in den Bundesrat spricht oder ob der selbe Effekt etwa durch eine Bindung der Mitglieder des Bundesrates an den Willen des jeweiligen Landtages erreicht werden kann, müsste noch diskutiert werden; zu fragen ist auch, ob die Regelung der Bestellung des Bundesrates nicht - nach Schweizer Muster - den Ländern (also dem Landesverfassungsgesetzgeber) überlassen werden könnte. In funktioneller Hinsicht erschiene eine frühzeitige Einbeziehung der Länder in den Prozess der Bundesgesetzgebung, insbesondere in den Stadien des Begutachtungsverfahrens und der Ausschussberatungen im Nationalrat, geboten. Für den Fall eines intensiven Interessenskonfliktes zwischen Bund und Ländern wäre eine "Vermittlungs"-einrichtung zu erwägen. Um eine Blockade der Bundesgesetzgebung zu vermeiden, wäre - von noch zu definierenden Ausnahmen, in denen ein Zustimmungsrecht des Bundesrates vorgesehen wird, - die Mitwirkung des Bundesrates wohl weiterhin auf ein suspensives Veto zu beschränken, wobei überlegt werden sollte, ob für den nachfolgenden Beharrungsbeschluss des Nationalrates erhöhte Quoren vorgesehen werden sollen.

 

Zu Frage 3:

 

Dazu sollte man sich an Folgendem orientieren: Ausgangspunkt wären die derzeitigen Kompetenzen der Länder im Bereich des Art. 15 B-VG; in einem ersten Schritt sollte man diese Materien im Hinblick auf die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer Arrondierung zur Schaffung größerer zusammenhängender Aufgabenbereiche an Stelle bloßer Aufgabenfragmente untersuchen. In einem zweiten Schritt sollte man prüfen, ob einzelne der derzeit in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallenden Aufgaben besser bundeseinheitlich geregelt werden und, ob vice versa einzelne Aufgabenbereiche, die derzeit Bundessache in der Gesetzgebung sind, besser von den Ländern geregelt werden sollten. In einem dritten Schritt sollte geprüft werden, für welche Angelegenheiten eine zwischen Bund und Ländern geteilte Gesetzgebung zweckmäßig erscheint; Indikatoren dafür könnten etwa sein: die derzeitige Zuordnung zum Art. 12 B-VG, aber auch die Fälle der delegierten Kompetenz, der Bedarfskompetenz und dergleichen mehr. Der Rest wären jene Angelegenheiten, die der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugeordnet werden sollten. In jedem Fall sollte man sich bemühen, größere zusammenhängende Aufgabenbereiche zu formulieren.

 

Ich bin mir darüber im Klaren, dass die vorstehenden Überlegungen in manchem die "ausgetretenen Pfade" bisheriger Reformüberlegungen verlassen. Ohne eine derartige Neuorientierung wird sich aber an den Problemen der geltenden Kompetenzverteilung nichts ändern.

 

Mit den besten Grüßen

Gerhart Holzinger