Johannes Schnizer

 

Punktation für  eine

aufgabenorientierte Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen

nach dem „Drei-Säulenmodell“

 

Die gegenwärtige Kompetenzverteilung ordnet bestehende Gesetzesmaterien, deren Umfang sich am Versteinerungszeitpunkt – meist 1925 – orientiert, nach Gesetzgebung und Voll­ziehung jeweils Bund und Ländern zu. So enthalten die Kompetenzartikel 177 (!) Einzel­tatbestände, denen die einzelnen Angelegenheiten zuzuordnen sind und für die dem Bund bzw. den Ländern Gesetzgebungs- – und/oder Vollziehungszuständigkeiten zugeordnet werden. Alle nicht genannten Angelegenheiten fallen in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder. So weit durch die wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaft­liche Veränderung neue Aufgaben an den Staat herangetragen werden – beispielhaft sei hier der Umweltschutz genannt – sind diese den bestehenden Tatbeständen zuzuordnen, wodurch es per se zu ihrer Zersplitterung kommt.

 

Diese Technik der Kompetenzverteilung geht von der Vorstellung aus, daß sich jede Geset­zesmaterie „fein säuberlich“ zwischen Bund und Ländern scheiden ließe. Angesichts der Komplexität heutiger Lebensverhältnisse ist eine solche Trennung der Kompetenzen nicht mehr möglich, es existiert fast kein Lebenssachverhalt, der nicht unter verschiedenen Gesichtspunkten zu regeln wäre. Für den Bundesstaat von besonderer Bedeutung ist, daß es hiebei stets Aspekte gibt, die besser bundesweit einheitlich, und andere, die besser länder­weise verschieden geregelt werden.

 

Es bietet sich daher für den Großteil der bisherigen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes die Schaffung eines neuen Kompetenztypus an, und zwar in Gestalt einer „subsidiären Kompetenz“ des Bundes oder „konkurrierenden Kompetenz zwischen Bund und Ländern“ in folgender Form:

 

Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes wird auf das unbedingt erforder­liche Minimum beschränkt, wie etwa Militär oder Bundesfinanzen, Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesen. In allen übrigen Bereichen beschränkt sich der Bund auf jene Regelungen, deren bundesweite Regelung unerläßlich ist. Im übrigen sind die Länder frei, die betreffende Angelegen­heit zu regeln, sie dürfen lediglich einer bundesweiten Regelung nicht widersprechen; wenn möglich, hat sich der Bund auf die Regelung der Grundsätze zu beschränken.

 

Im ausschließlichen Gesetzgebungsbereich der Länder, der so gut wie alle bisherigen Gesetzgebungskompetenzen der Länder umfaßt, angereichert um jene, die nicht in die Subsidiärkompetenz des Bundes fallen, sind die Länder alleine befugt, gesetzgeberisch tätig zu werden; dem Bund ist es verwehrt, hier einzugreifen.

 

Davon ausgehend zeigt eine Analyse der 177 Einzeltatbestände des Bundes, daß sich die Gesetzgebungs­zuständigkeiten auf 17 Großtatbestände reduzieren lassen, die nicht auf die einzelnen Geset­zesmaterien abstellen, sondern auf Aufgabenbereiche.

 

Diese Aufgaben könnten folgende sein:

 

          1.          Bundesverfassung

          2.          Äußere Angelegenheiten des Bundes

3.             Angelegenheiten der Staatsgrenze und der Grenzüberschreitung

4.          Rechtsstellung der Bundesbürger und der Fremden

          5.          Bundesfinanzen

          6. Geldwirtschaft und Kapitalverkehr, Standardisierung (Maße, Gewichte, Normen usw.) und Güterverkehr

          7.          Justiz (Zivil- und Strafrecht, Gerichte)

          8.          Innere Sicherheit

          9.          Angelegenheiten der Wirtschaft

          10.          Angelegenheiten des Verkehrs

          11.          Schutz vor Beeinträchtigungen der Umwelt

          12.          Angelegenheiten der Arbeitswelt

          13.          Soziale Sicherheit

          14.          Angelegenheiten der Gesundheit

          15.          Angelegenheiten der Wissenschaft und Forschung

          16.          Bundesbehörden einschließlich Dienstrecht

          17.          Militärische Angelegenheiten

 

Die bestehenden Kompetenztatbestände lassen sich jeweils einem dieser Aufgabenbereiche zuordnen. Beispielsweise wäre Allgemeine Sicherheitspolizei, Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen, Vereins- und Versammlungsangelegenheiten, Organisation der Bundespolizei und Bundesgendarmerie dem Aufgabenbereich „Sicherheitswesen“ zuzuord­nen. Die Anknüpfung an Aufgabenbereiche bringt es mit sich, daß einzelne, bisher in einem Gesetz geregelte Angelegenheiten verschiedenen Aufgabenbereichen zugeordnet werden; gerade dies ermöglicht aber eine organische Weiterentwicklung und zukünftige aufgaben­orientierte Gesetzgebung. Beispielsweise läßt sich der Denkmalschutz unter keine der hier aufgezählten Aufgabentatbestände einordnen und fällt daher künftig in die Zuständigkeit der Länder. Wohl hätte aber der Bund die Verbringung beweglichen Kulturguts ins Ausland zu regeln, weil es sich hiebei um eine Angelegenheit der Grenzüberschreitung handelt.

 

Von diesen 17 Aufgabenbereichen ist lediglich in sieben eine ausschließliche Bundeszustän­digkeit erforderlich, und zwar in folgenden:

 

1.          Bundesverfassung

2.       Äußere Angelegenheiten (ausgenommen die Staatsvertragskompetenz der Länder)

3.          Angelegenheiten der Staatsgrenze und der Grenzüberschreitung

4.          Bundesfinanzen

5.          Geldwirtschaft und Kapitalverkehr, Standardisierung und Güterverkehr

6.          Bundesbehörden

7.          Militärische Angelegenheiten

 

In allen übrigen Aufgabenbereichen gibt es Regelungen, die notwendigerweise bundesweit getroffen werden müssen, überwiegend aber auch länderweise verschieden sein können. In allen diesen Angelegenheiten ist der Bund befugt, Regelungen zu erlassen, soweit eine bundesweit einheitliche Regelung unerläßlich oder erforderlich ist, um gleichwertige Lebensver­hältnisse im Bundesgebiet zu garantieren.

 

Die Beantwortung dieser Frage erfordert letztlich eine politische Bewertung, die nur im Einzelfall getroffen werden kann; es liegt nahe, hiefür Kooperationsverfahren zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, wenn letztere betroffen sind, vorzusehen.

 

Soweit es lediglich erforderlich ist, bundesweite Grundsätze zu erlassen, hat sich der Bund auf diese zu beschränken. Auch im Falle einer bindenden bundesweiten Regelung kann der Bund ausdrücklich zu abweichenden landesgesetzlichen Regelungen ermächtigen. Die Lan­desgesetzgeber könnten in sämtlichen Aufgabenbereichen ergänzende Regelungen erlassen, sie dürfen nur nicht einer bundesweiten Regelung widersprechen.

 

Dies erfordert die Aufnahme eines verfassungsrechtlichen "Harmoniegebotes", das besagt, daß in diesen Angelegenheiten gesetzliche Vorschriften der Länder nicht bundesgesetzlichen Vorschriften widersprechen dürfen und im Falle eines solchen Konfliktes die bundesgesetzlichen Vorschriften vorgehen (Bundesrecht bricht Landesrecht). Eine solche Vorrangregel ist bisher der österreichischen Verfassung fremd, doch existiert sie in sämtlichen anderen Bundesstaaten, von Deutschland über Belgien bis zu den USA. Die Schweizer Bundesstaatsdoktrin leitet sie geradezu aus dem Wesen des Bundesstaates ab, was jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn - wie hier vorgeschlagen - die Kompetenz des Bundes auf bundesweit erforderliche Regelungen beschränkt wird.

 

Eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern in diesem Sinne gilt daher für folgende Aufgabenbereiche:

 

1.      Justiz

2.      Innere Sicherheit

3.      Angelegenheiten der Wirtschaft

4.      Angelegenheiten des Verkehrs

5.      Schutz vor Beeinträchtigungen der Umwelt

6.      Angelegenheiten der Arbeitswelt

7.      Soziale Sicherheit

8.      Angelegenheiten der Gesundheit

9.      Angelegenheiten der Wissenschaft und Forschung

10.  Bundesbehörden einschließlich Dienstrecht

 

Soweit eine Angelegenheit keinem Aufgabenbereich zuordenbar ist, in dem der Bund bundes­weite Regelungen treffen darf, verbleibt sie bei der ausschließlichen Gesetzgebungszustän­digkeit der Länder. Diese umfaßt daher zunächst so gut wie alle Gesetzgebungsmaterien, die den Ländern jetzt aufgrund des Artikel 15 B-VG zukommen. Andere Materien werden von der Bundeskompetenz in die Länderkompetenz übertragen.

 

Soferne  dieser Kompetenzbereich ausdrücklich abgesichert werden soll, bietet sich an, die ausschließlichen Länderkompetenzen ebenfalls taxativ aufzuzählen (wodurch sich die Generalklausel zu den konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen verschiebt). Dieser könnte beispielsweise folgendermaßen lauten:

 

1.      Landesverfassung

2.      Auswärtige Angelegenheiten der Länder

3.      Gemeinden

4.      Landes- und Gemeindefinanzen

5.      Landwirtschaft (einschließlich Jagd und Fischerei)

6.      Allgemeine Raumordnung und bauliche Gestaltung

7.      Kulturgüter

8.      Sport

9.      Landesbehörden

 

Bei dieser Technik der Kompetenzverteilung kommt es vor allem aber deswegen zu einer bedeutenden Ausweitung der Gesetz­gebungskompetenzen der Länder, weil sie in allen Aufgabenbereichen, die nicht in die ausschließliche Bundeskompetenz fallen, gesetzgebend tätig werden können. Lediglich soweit der Bund in diesen Bereichen eine unerläßliche bundesweite Regelung trifft, darf dieser Regelung von den Ländern nicht widersprochen werden. Dies träfe beispielsweise auf den Tierschutz zu, dessen bundesweite Regelung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Beeinträchtigungen der Umwelt und der Gesundheit unbedingt erforderlich wäre.

 

Eine Konkretisierung des Umfanges der jeweiligen Gesetzgebungskompetenzen ergibt sich aus der Technik der Überleitung: In den Erläuterungen wird angeführt, welche bisherigen Tatbestände den neuen Aufgabenbereichen zuzuordnen sind und unter welchen Gesichtspunkten diese Zuordnung jeweils getroffen wird. Der Übergang von materienorientierter Kompetenzverteilung zur Anknüpfung an Aufgabenbereiche hat zur Folge, daß mitunter bisher in einem Gesetz geregelte Materien in Zukunft verschiedenen Aufgabenbereichen zuzuordnen sind, wobei für jeden Teil wiederum zu beurteilen ist, inwieweit er eine bundesweit erforderliche Regelung enthält. Aus der Angabe der Kriterien, unter denen diese Zuordnung erfolgt, ergibt sich der Zweck des jeweiligen Aufgabenbereiches, an dem sich die Interpretation zu orientieren hat.