An das Präsidium des Österreich-Konvents

z. H. Herrn Präsidenten Dr. Franz Fiedler

E-mail fiedler@rechnungshof.gv.at

 

An den Vorsitzenden des Ausschusses 1

Herrn Univ,-Prof. DDr. Heinz Mayer

E-mail heinz.mayer@univie.ac.at

                       

                                                                                   Wien, 24. 11. 2003

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Der Österreich-Konvent ist angetreten, um einerseits eine (formal) schlankere, übersicht-lichere und allgemein verständlichere Verfassung unter bestmöglicher Einbeziehung der fugitiven Verfassungsbestimmungen als Vorschlag auszuarbeiten; andererseits um inhalt-

lich die Basis für eine aktualisierte, flexiblere, rationellere Staatstätigkeit, insbesondere weniger bürokratische, laufend veränderten Aufgaben als Bürgerservice entsprechende Verwaltung zu schaffen.

 

Diesem Hauptziel steht die Neuaufnahme von Staatsvisionen, Staatszielen, Staatsaufgaben und Grundrechten wie sie im Konventsgespräch zunehmend gewünscht wird, grundsätzlich entgegen. Besonders bedenklich erscheint es, wenn für die Aufnahme von Zielen plädiert wird, damit sich verändernde politische Ausrichtungen präjudiziert und verhindert würden. Auf diese Weise würde eine neue Verfassung genau das Gegenteil von dem erreichen, wofür sie ausgearbeitet werden soll, nämlich die Erstarrung, Inflexibilität und Ineffizienz der politischen Arbeit in Zukunft zu verringern, abgesehen von der Forderung nach formaler Vereinfachung. Zudem sind jetzt die entscheidenden Ziele ohnedies von der werdenden EU-Verfassung vorgegeben, was weitere oder gar widersprechende Zielformulierungen in einer österreichischen Verfassung widersinnig erscheinen lässt.

 

Wenn trotz dieser schwerwiegenden Bedenken Zielformulierungen in die Konventsvorschläge (neu) aufgenommen werden sollen, so ist dabei von einer gewissen Stufenordnung auszugehen:

  1. Sehr heikel ist schon die Behandlung der Grundrechte, die für Bürger und Institutionen besonders entscheidend sind, da individuell verfolgbar. Ihre Festschreibung im aktuellen Verständnis ist schon weitgehend von den Menschenrechts- und EU-Normen vorgegeben. Auch hier sollten keine „tagespolitischen“ Forderungen einfließen.

 

  1. Bei der Formulierung der Staatsaufgaben sollte auf die Formulierung größerer Bereiche sowie klarerer Kompetenzabgrenzungen Bedacht genommen werden. Jedenfalls muss dem Einfachgesetzgeber in Einklang mit guter Verwaltungspraxis genügend Spielraum eingeräumt werden. Eventuell ist eine kurze verfassungsmäßige Festhaltung von „jedenfalls hoheitlichen“ bzw. „Kernaufgaben“ zweckmäßig; dabei wäre jedoch unbedingt zu beachten, dass solche Aufgaben zwar eine erhöhte Kontroll- und Aufsichtspflicht des Staates bedeuten, aber nicht die Aufforderung, die Leistung selbst müsse immer von staatlichen Institutionen erbracht werden.

 

  1. (Neue) Staatsziele sollten – wenn überhaupt – nur mit äußerster Vorsicht in die Ver-fassung aufgenommen werden, aus 5 Gründen: a) bedeuten sie automatisch wieder eine unerwünschte Aufblähung der Verfassung, b) können sie wieder den Einfach-gesetzgeber und damit die Politik mit ihrer flexiblen Gestaltungsmöglichkeit knebeln, was ja gerade eine neue Verfassung verhindern soll, c) ist ihre rechtliche Wirksamkeit zumindest unklar, sie können tendenziell den Verfassungsgerichtshof an Stelle der demokratisch bestellten Gremien zum politischen Gestalter machen, d) sind sie im politischen Spektrum und damit auch leider auch im Konvent kaum konsensfähig und e) deuten sie entweder nicht allgemein erwünschte politische Prioritäten an, was nicht Gegenstand der Verfassung sein kann, oder müssen zusätzlich durch Prioritäten ihre gegenseitige Ausschließung erklären.

 

Sollten aber einige Zielsetzung trotz dieser Bedenken Eingang in einen Verfassungstext fin-den, so halte ich es für unerlässlich, einige Ziele, die auf wirtschaftliche Notwendigkeiten hinweisen und die bisher noch nicht diskutiert wurden, in einen Verfassungstext aufzuneh-men. Dies auch in Anlehnung an die uns übergeordneten, gleichartigen Ziele der EU-Texte, in denen es im Art. 3 (3) u. a. heißt: „Die Union strebt die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums an, eine in hohem Maße wettbe-werbsfähige soziale Marktwirtschaft, die...“ sowie: „Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.“

 

Der konkrete Vorschlag für eine Zielformulierung in der österreichischen Verfassung ist:

 

Zur Sicherung der materiellen Voraussetzungen des Staates und des Wohlstands seiner Bürgerinnen und Bürger gewährleistet der Staat die Rahmenbedingungen einer funk-tionierenden Marktwirtschaft, ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum und die Wettbe-werbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft innerhalb und außerhalb des Binnen-marktes der Europäischen Union.

 

Eine solche Zielsetzung ist umso nötiger, als die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich geradezu die unabdingbare Voraussetzung für alle anderen Ziele des Staates und der Politik ist, die ohne diese Leistungsfähigkeit Leerformeln für unerfüllbare Wünsche bleiben müssten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ob eine Präambel zusätzlich sinnvoll erscheint, ist fraglich. Dagegen spricht der Auf-

trag an den Konvent einer Verkürzung des Verfassungstextes, die rechtlichen Uner-heblichkeit und eine gewissen Pathosmüdigkeit der heutigen Gesellschaft. Wenn eine Präambel Konsens oder weitgehender Wunsch des Konvents ist, so soll sie kurz sein und klar nur ethisch-grundsätzlichen Charakter haben („nur zum Auswendiglernen zur Erziehung“).

 

Unser Konventsvertreter Dr. Voith ist zu näheren Ausführungen gern bereit.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Industriellenvereinigung

 

Dr. Günter Voith e.h.                                                   Mag. (FH) Mag. Stefan Mara e.h.