Herrn o.Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer Universität Wien/Juridicum Schottenbastei 10-16 1010 Wien |
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Wien,
20.11.2003
Sehr geehrter Herr Professor!
Den Protokollen Ihres Ausschusses entnehme ich, dass sich in
den Beratungen eine starke Strömung zugunsten der weiten Aufnahme von
Staatszielen in die neue Verfassung gebildet hat. Bitte, gestatten Sie, dass
ich Ihnen meine Position dazu darlege.
Auf den ersten Blick scheint in der Tat vieles für die Aufnahme
von Staatszielen in eine Verfassung zu sprechen, kann doch durch sie die
grundlegende Orientierung der Staatstätigkeit kenntlich gemacht und
festgeschrieben werden. Dazu kommt, dass einige sogenannte moderne
Verfassungen Bestimmungen über Staatsziele aufweisen und auch der Entwurf zu
einer Verfassung für Europa eine Reihe von Zielen der Union vorsieht.
Staatsziele sind insoweit gleichbedeutend mit der Verankerung öffentlicher
Interessen. Sie legitimieren Staatstätigkeit. Darüber hinaus sind
Staatszielbestimmungen verbindliches Recht. Sie verpflichten die Staatsorgane
dazu, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zur Zielerreichung tätig zu
werden.
Da wir heute aber nicht an zuwenig, sondern an zuviel Staat
leiden, wäre es kontraproduktiv, durch eine mit Staatszielbestimmungen
überladene neue Verfassung eine Zunahme der Staatstätigkeit in der Zukunft und
damit eine kostspielige Ausweitung des öffentlichen Sektors zu bewirken.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass im Entwurf für eine
Verfassung für Europa eine relativ große Anzahl von Zielen der Union normiert
werden werden. Die Union wird sich in Zukunft – und wir haben schon auf
Grundlage des geltenden Primärrechts Beispiele dafür – bei vielen Anliegen auf
diese Zielbestimmungen berufen. Wie werden diese Zielvorstellungen, die sehr allgemein
formuliert sind (zB „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“, „Vollbeschäftigung“),
im Verhältnis zu neuen österreichischen Staatszielen gesehen werden?
Diese und die anderen grundsätzlichen Fragen wird in Zukunft
der Verfassungsgerichtshof und der EuGH entscheiden. Je unklarer es wird, ob
ein Gesetz im Angesicht verschiedenster Staatszielbestimmungen den
Verfassungen entspricht, d.h. mit den verschiedenen Zielvorgaben kompatibel
ist, umso größer wird die Macht und umso unberechenbarer wird letztlich die
Judikatur des VfGH und EuGH, der die verschiedenen, den einzelnen Staatszielen
zugrunde liegenden Wertentscheidungen gegeneinander abzuwägen hat.
Unsere grundsätzliche Einstellung zu allen diesen Fragen kennen
Sie schon, wir sprechen uns in unserem 1. Positionspapier gegen
weitwendige Zielbestimmungen aus, Ziel sollte eher eine Spielregelverfassung
sein und Grundbewertungen über bestimmte Staatsaufgaben sollten in den
jeweiligen Abschnitten (etwa: Justiz, äußere Beziehungen, Militär) enthalten
sein.
Mir wurde nun berichtet, dass die Diskussionen in ihrem
Ausschuss in eine ganz andere Richtung gehen. Offenbar gegen ihre persönliche
Einstellung zu den Problemen, werden viele Zielbestimmungen verlangt. Der
Rahmen geht derzeit etwa von Bildung über Leistungen im allgemeinen Interesse,
Existenzschutz bis zu Neutralität und Haushaltsgleichgewicht. Besonders breiten
Raum nimmt offenbar derzeit die Diskussion über die Leistungen im allgemeinen
Interesse ein. Wir haben uns deswegen erlaubt, Ihnen die Stellungnahme der WKÖ
zum einschlägigen Grünbuch der EU zu übermitteln.
Wenn nun die Diskussion in diesem weiten Umfang geführt wird,
was ich, wie zuvor schon ausgeführt, nicht für zweckmäßig erachte, muss sie
zusätzlich auch noch auf ganz grundlegende wirtschaftliche Staatsziel
erweitert werden. Ich möchte dafür wieder das Vorbild des Entwurfes einer
Verfassung für Europa heranziehen. Die in diesem Entwurf formulierten wirtschaftlichen
Staatsziele wie ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, freier und unverfälschter
Wettbewerb sowie eine wettbewerbsfähige Marktwirtschaft müssen dann ebenfalls
in einen größeren Katalog von Staatszielen aufgenommen werden.
Das Mandat des Ausschusses 1 trägt auch
auf, die Frage sogenannter
"Kernaufgaben" des Staates zu erörtern. Hier besteht nach
meinem Dafürhalten die Gefahr, sich in unfruchtbaren Diskussionen zu
verlieren. Wenn ich es richtig sehe, dann sind Kernaufgaben eine Rechtsschöpfung
des VfGH, um solcherart unter anderem Ausgliederungsschranken festzulegen. Bemühungen,
Kernaufgaben ausdrücklich festzuschreiben, erscheinen mir als wenig sinnvoll,
da sich Kernaufgaben nicht abstrakt definieren lassen. Will man demnach
Kernaufgaben in irgendeiner Weise festhalten und die freie Rechtsschöpfung
durch den VfGH verhindern, so müssten ausdrückliche und exklusive
verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisungen, die dann in irgendeiner Weise als
Kernaufgaben gekennzeichnet werden müssten, an bestimmte Staatsorgane
vorgenommen werden. Das aber kann meines Erachtens nicht abstrakt im
Ausschuss 1 geschehen, sondern müsste, wenn überhaupt, in Zusammenhang mit
der Regelung einzelner Sachbereiche wie Justiz, Militär und Polizei erfolgen.
In der Hoffnung, sehr geehrter Herr Professor,
Ihnen mit diesen Überlegungen meine Position verdeutlicht zu haben, bin ich mit
den besten Wünschen für einen guten Fortgang der Ausschussberatungen und
mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph Leitl Mag.
Annemarie Hochhauser
Präsident Generalsekretär-Stv.