Textvorschlag Umweltschutz (Raschauer)

Art X (1) Die Republik Österreich bekennt sich zum umfassenden Natur- und Umweltschutz.
(2) Umfassender Naturschutz ist die Bewahrung ökologischer Systeme und ihrer Vielfalt. Umfassender Umweltschutz ist die Vorsorge vor schädlichen Einwirkungen und die tunliche Behebung bestehender schädlicher Einwirkungen.
(3) Alle Maßnahmen, die der Herstellung oder Nutzung von Atomwaffen und der Nutzung der Kernspaltung zum Zweck der Energiegewinnung dienen, sind verboten. Unter Berücksichtigung bestehender zwischenstaatlicher Verpflichtungen erklärt die Republik Österreich dieses Verbot zu einer Maxime ihrer Politik.

 

Geltendes Recht:

Das BVG umfassender Umweltschutz, BGBl 491/1984, lautet:

§ 1. (1)  Die Republik Österreich  (Bund, Länder und  Gemeinden) bekennt sich zum umfassenden Umweltschutz.

(2) Umfassender Umweltschutz ist die Bewahrung der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen vor  schädlichen Einwirkungen. Der umfassende Umweltschutz besteht insbesondere in Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft, des Wassers und des Bodens sowie zur Vermeidung von Störungen durch Lärm.

Das BVG atomfreies Österreich, BGBl I 149/1999, lautet:

§ 1. In Österreich dürfen Atomwaffen nicht hergestellt, gelagert, transportiert, getestet oder verwendet werden. Einrichtungen für die Stationierung von Atomwaffen dürfen nicht geschaffen werden.

§ 2. Anlagen, die dem Zweck der Energiegewinnung durch Kernspaltung dienen, dürfen in Österreich nicht errichtet werden. Sofern derartige bereits bestehen, dürfen sie nicht in Betrieb genommen werden.

§ 3. Die Beförderung von spaltbarem Material auf österreichischem Staatsgebiet ist untersagt, sofern dem völkerrechtliche Verpflichtungen nicht entgegenstehen. Von diesem Verbot ausgenommen ist der Transport für Zwecke der ausschließlich friedlichen Nutzung, nicht jedoch für Zwecke der Energiegewinnung durch Kernspaltung und deren Entsorgung. Darüber hinaus sind keine Ausnahmegenehmigungen zu erteilen.

§ 4. Durch Gesetz ist sicherzustellen, daß Schäden, die in Österreich auf Grund eines nuklearen Unfalles eintreten, angemessen ausgeglichen werden und dieser Schadenersatz möglichst auch gegenüber ausländischen Schädigern durchgesetzt werden kann.

 

Eine längere Liste von umweltbezogenen Pflichten des Landes enthielt das Kntn Umwelt-Landesverfassungsgesetz, LGBl 42/1986 (nunmehr zum Teil integriert in die Kntn

 

Landesverfassung). Nach Art 9 der Sbg Landesverfassung gehören zu den "Aufgaben und Zielsetzungen des staatlichen Handelns" insb "die Bewahrung der natürlichen Umwelt und der Landschaft in ihrer Vielfalt und als Lebensgrundlage für den Menschen sowie der Tier- und Pflanzenwelt vor nachteiligen Veränderungen und die Erhaltung besonders schützenswerter Natur in ihrer Natürlichkeit".

 

Ausländische Verfassungstexte sind kaum vergleichbar. Vgl Art 20a GG: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung".

Knapp gehalten sind § 20 Finn. Verfassung: "Das Gemeinwesen wirkt darauf hin, daß für alle eine gesunde Umwelt gesichert ist" und Art 21 Niederl. Grondwet: "Die Sorge des Staates und der anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften gilt der Bewohnbarkeit des Landes sowie dem Schutz und der Verbesserung der Umwelt". Umfangreich und kasuistisch ist Art 66 der Port. Verfassung.

 

Anmerkungen:

Die derzeitige praktische Bedeutung des BVG umfassender Umweltschutz wird insb von Gutknecht (Kommentierung dieses BVG in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Bd IV), Raschauer (in Kerschner, Hg, Staatsziel Umweltschutz, 1996, 57) und Weber (in FS 75 Jahre Bundesverfassung, 1995, 711) veranschaulicht. - Eine weitergehende Zielkonzeption (samt umfangreichem Textvorschlag) wurde insb von Pernthaler (in Pernthaler/Weber/ Wimmer, Umweltpolitik durch Recht, 1992, 14) entwickelt (vgl auch Pernthaler und Welan in Kerschner aaO).

Das geltende BVG umfassender Umweltschutz ist insoweit situationsbedingt konzipiert, als ihm nach allgemeiner Auffassung ein "anthropozentrischer Ansatz" zugrunde liegt. Es ist gerechtfertigt, diese Textierung in Zeiten, in denen Natur- und Umweltschutz immer intensiver durch Vorschriften des Gemeinschaftsrechts geprägt sind, denen - mindestens auch - ein "ökologischer Ansatz" zugrunde liegt (insb VogelschutzRL, FFH-RL), weiterzuentwickeln. Dies insb durch Streichung der Wendung "als Lebensgrundlage des Menschen" und durch gesonderte Anführung der "Natur" neben der "Umwelt".

Gemeint ist Natur in allen Erscheinungsformen. Da es in dichtbesiedelten Gebieten kaum "unberührte" Natur geben kann, ist auch durch Menschenhand berührte Natur mitumschlossen, somit nicht nur "natürliche" Umwelt. Noch zu prüfen ist, inwieweit der in der letzten Sitzung vorgeschlagene Begriff "ökologische Systeme" angemessen und ausreichend ist, insb in Bezug auf "Lebewesen".

Das Verpflichtungsniveau der Vermeidung "schädlicher" Einwirkungen soll - dem Wesen einer Verfassungsbestimmung gemäß - beibehalten werden. Selbstverständlich wird die

 

Gesetzgebung dadurch nicht gehindert, Bestimmungen zur Begrenzung von "Belästigungen" oder von das "ortsübliche Maß übersteigenden Einwirkungen" zu erlassen.

Auf die Anführung einzelner Schutzbereiche (zB "Boden") und Einwirkungspfade (zB "Lärm") kann verzichtet werden, da die Anführung ohnedies nur demonstrativer Natur ist und gerade in Bezug auf die nicht genannten Schutzbereiche (zB "Wald") und Einwirkungspfade (zB "Elektrosmog") nicht zur Klärung beiträgt.

Während im Hinblick auf die "Natur" die Wahrung der Vielfalt zielbestimmend ist, sind im Hinblick auf die Umwelt das Vorsorgeprinzip ("Vermeide das Vermeidbare") und das Reparaturprinzip - bezogen auf "schädliche" Einwirkungen - zielbestimmend.

Auf den Begriff der "Nachhaltigkeit" wird bewusst verzichtet, da er keinen auch nur einigermaßen gesicherten Bedeutungsinhalt aufweist. Symptomatisch ist etwa § 1 Abs 3 ForstG, wo der Begriff in zwei Sätzen in unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird: in Satz 1 im Sinn des Brundtland-Reports, in Satz 2 im klassisch forstrechtlichen Sinn. Vor allem der erste Sinngehalt stellt sich als Abwägungsbefehl ("magisches Dreieck") und nicht als Determinante dar und ist daher für eine verfassungsrechtliche Zielbestimmung ungeeignet.

Die Determinanten sind für alle Gebietskörperschaften in ihren jeweiligen Wirkungsbereichen maßgeblich und wären daher legistisch vor Art 10 B-VG zu platzieren.

Entsprechend einem in der letzten Sitzung geäußerten Wunsch wurde in Abs 3 auch ein Entwurf für eine Integration des Atom-BVG beigefügt, der in textlicher Anpassung naturgemäß auf eine Reduzierung auf das Wesentliche hinausläuft. Beim zweiten Satz handelt es sich um eine Neuerung, die darauf abzielt, das Verbot auch als Determinante für die Politik, einschließlich der Außenpolitik, zu konzipieren.

Die Formulierung ist so neutral gehalten, dass sie von keinem anderen Staat als "aggressive" Geste im Sinn einer Einmischung in seine Angelegenheiten verstanden werden kann und soll (kein "Export" österreichischer Umweltpolitik). Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen sind zu respektieren. Freilich sind nur "bestehende" Verpflichtungen zu verbindlich. Vertreter der Republik sind eingeladen und verfassungsrechtlich legitimiert, auf allen Ebenen die Zielsetzung des ersten Satzes zu vertreten.