Weiterer Textvorschlag des Österreichischen
Städtebundes zur Verankerung der Leistungen im allgemeinen Interesse
in der Bundesverfassung
(1)
Bund, Länder und Gemeinden
gewährleisten die Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interesse
(Daseinsvorsorge).
(2)
Derartige Leistungen stellen einen
anerkannten, nicht diskriminierenden Mindeststandard der Teilhabe an jenen
Lebensbereichen sicher, die gesellschaftlich regelmäßig vorkommen.
(3)
Es sind dies sowohl marktbezogene als
auch nicht marktbezogene Leistungen, die so zu erbringen sind, dass dabei
insbesondere die Versorgungssicherheit, die soziale Erreichbarkeit, der
Verbraucherschutz, der Gesundheitsschutz und die Nachhaltigkeit sicher gestellt
sind.
Erläuterungen:
Die Verankerung der Verantwortlichkeit von Bund, Ländern und
Gemeinden für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge in der
Österreichischen Bundesverfassung soll zum Ausdruck bringen, dass die
Gebietskörperschaften bestrebt sind, die von ihnen eingeführten und erbrachten
Leistungen der Daseinsvorsorge auch in Zukunft aufrecht zu erhalten. Mit der
Erbringung dieser Leistungen werden grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung
erfüllt. Leistungen der Daseinsvorsorge stehen der gesamten Gesellschaft, also
allen Bürgern zu gleichen Bedingungen zur Verfügung und werden aufgrund
gemeinwohlbezogener Überlegungen erbracht. Gemeinwohlorientierte
Leistungen sollen einerseits die Grundversorgung der Bevölkerung sichern,
anderseits sind sie feste Bezugspunkte des Gemeinwesens und begründen die
Zugehörigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu diesem. Die Erbringung von
Leistungen im allgemeinen Interesse und/oder deren Qualitätssicherung durch die
öffentliche Hand bringen darüber hinaus auch die Verantwortlichkeit des Staates
für die Ziele des Gemeinwohls zum Ausdruck.
Die Verfassung hat
heute nicht mehr die ausschließliche Aufgabe, die Bevölkerung vor Eingriffen
durch den hoheitlichen Staat zu schützen bzw. den Staatsaufbau zu regeln, vielmehr
soll eine moderne Verfassung, wie etwa die Schweizer Verfassung dies zeigt,
auch die Verantwortung des Staates für seine Bewohner zum Ausdruck bringen. Der
Staat hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Leistungsstaat entwickelt,
der für seine Bevölkerung verantwortlich ist und genau das sollte auch in der
Verfassung festgeschrieben werden.
Seit einigen Jahren wird insbesondere von der Europäischen Union
(siehe etwa das Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse) und im
Rahmen der GATS-Verhandlungen der Trend zur Privatisierung und Liberalisierung
("Weniger Staat, mehr Markt") mit der Begründung prolongiert, dass
einerseits die Öffentliche Hand einsparen kann und anderseits das Preisniveau
für die Verbraucher gesenkt werden könnte.
Beispiele aus Europa zeigen aber, dass Liberalisierungen nur dann zu
Einsparungen bzw. Preissenkungen geführt haben, wenn die Definition hoher
Qualitätskriterien vernachlässigt wurde.
Gerade die Leistungen der Daseinsvorsorge gehorchen jedoch
hinsichtlich ihrer Aufgabenerfüllung anderen Gesetzen als den Mechanismen des
Freien Marktes. Im Gegenteil, sie sind in erhöhtem Maß, Kriterien wie der
Versorgungssicherheit, der
Kontinuität, der sozialen Erschwinglichkeit, der Gesundheit, der
Nachhaltigkeit etc verpflichtet.
Leistungen der Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Strom, Gas,
Telekommunikation, Rundfunk und Postdienste, aber auch Sozial- Gesundheits-
oder Bildungsleistungen sind Dienstleistungen, die als wesentlich für das
Funktionieren einer modernen Gesellschaft angesehen werden. Obwohl sie als
wesentlich gelten, können diese Dienstleistungen sowohl von privaten als auch
von öffentlichen Unternehmen oder von Bund, Ländern und Gemeinden selbst,
teilweise hoheitlich, erbracht werden. Die Verfügbarkeit, der Preis und die
Qualität der Leistungen der Daseinsvorsorge sind per definitionem von größter
Bedeutung für die Verbraucher.
Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse
unterscheiden sich insofern von normalen Dienstleistungen, als sie in den Augen
des Staates auch dann erbracht werde müssen, wenn der Markt unter Umständen
nicht genügend Anreize dafür bietet. Der Begriff der Leistungen der
Daseinsvorsorge beruht auf dem Anliegen, überall gute und für alle
erschwingliche Dienstleistungen zu gewähren. Diese Dienste tragen zur
Verwirklichung der Ziele der Solidarität und Gleichbehandlung bei, die dem
europäischen Gesellschaftsmodell zu Grunde liegen.
Gerade deshalb hat auch die Europäische Union die Bedeutung der
Leistungen der Daseinsvorsorge anerkannt und haben sie Eingang in den Entwurf
der Europäischen Verfassung gefunden.
Zum Textvorschlag im Detail:
Die Aufzählung der einzelnen Gebietskörperschaften soll zum Ausdruck
bringen, dass Leistungen der Daseinsvorsorge von Bund, Ländern und Gemeinden
erbracht werden und soll die entsprechenden Kompetenzen auch unterstreichen.
Der Begriff "gewährleisten" ist so zu verstehen, dass die
zuständige Gebietskörperschaft die Leistung selbst oder durch Dritten erbringen
lassen kann. Darüber hinaus ist die Öffentliche Hand aufgrund der Bedeutung
dieser Leistungen dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass im Fall des
Versagens der Leistungserbringung durch Dritte, der Staat die Leistungen auf
jeden Fall in einer Art Reservefunktion bzw. Auffangverantwortung zu erbringen
hat.
Die zuständige Gebietskörperschaft kann und muss bei jeder Leistung
andere Kriterien heranziehen, um beurteilen zu können, in welcher Form sie die
Leistungserbringung gewährleistet. Die Erbringung der Wasserversorgung ist
anders zu beurteilen als die Telekommunikation oder der Postdienst. Im Bereich
der Telekommunikation oder der Postdienste kann tatsächlich gänzlich
privatisiert werden, wie dies auch bereits erfolgt ist (auch an ausländische Unternehmen). Es
reicht hier, um die Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können, z.B.
eine Universaldienstverordnung aus, die festschreibt, dass der Anbieter eine
flächendeckende Versorgung anbieten muss und der Staat evt. die Kosten durch
Subventionen trägt. Im Bereich der Wasserversorgung ist nach anderen Kriterien
vorzugehen, da es sich dabei um natürliche Ressourcen handelt, bzw. ein
europäisches, großflächiges Netz aufgrund geographischer Hürden nicht
funktionieren kann. (Trink-)Wasserversorgung bedeutet nicht nur die
Leitungen/Infrastruktur zu errichten, sondern heißt im erhöhten Maße vor allem
Qualitätssicherung, sprich die Versorgung mit einwandfreien Trinkwasser und
auch die soziale Erreichbarkeit zu gewährleisten. Im Bereich der
Wasserversorgung ist auch der Gedanke der Nachhaltigkeit von großer Bedeutung.
Im Sinne der Gewährleistungspflicht ist die Grundsicherung in diesem Bereich im
Gegensatz etwa zur
Versorgung mit Strom nicht durch die Errichtung und Wartung des
Netzes/Leitungen erbracht.
Gewährleisten bedeutet die Leistungen auch in entsprechender
Qualität zu erbringen. Was bedeutet, dass Bund, Länder und Gemeinden sich bei
der Erbringungen der Leistungen - vor allem durch Dritte - einen Einfluss in
der Form sichern müssen, dass wenn die Qualität der Leistungen nachlässt, sie eine
sogenannte Rückholmöglichkeit haben. Sprich sie können die Leistungserbringung
wieder an sich ziehen und selbst besorgen oder durch ein anderen, besser
geeigneten Dritten. Diese
Qualitätssicherung ist gerade im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich,
ferner auch in der Wasserver- und entsorgung unerlässlich.
Abs 2 soll dem Begriff "Leistungen im allgemeinen
Interesse" einen Interpretationsrahmen geben.
"Leistungen im allgemeinen
Interesse" ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, der sich aufgrund gesellschaftlicher
Gegebenheiten ergibt und sich durch die fortschreitende gesellschaftliche
Entwicklung verändert, vom öffentlichen Diskurs bestimmt, vom einfachen
Gesetzgeber beeinflusst und schließlich von Entscheidungen der Höchstgerichte
ausgelegt wird.
Leistungen im allgemeinen Interesse sind Leistungen die aus Gründen
des Gemeinwohls erbracht werden. Gemeinwohl ist ein Begriff, der in der
österreichischen Verfassung nicht vorkommt, der aber unter Berücksichtigung der
Judikatur zum öffentlichen Interesse ausgelegt werden kann bzw. kann Gemeinwohl
auch als Gegenbegriff zum Privatinteresse verstanden werden. Leistungen im
allgemeinen Interesse werden insbesondere deshalb erbracht, um für die
Gesellschaft eine diskriminierungsfreie Grundsicherung zu gewährleisten.
Die Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interesse ist von dem
Grundgedanken getragen, dass in jeder Gesellschaft unterschiedliche
Lebensbereiche vorherrschen. Davon gibt es Lebensbereiche die so regelmäßig
vorkommen, dass die Gesellschaft erwartet, dass daran jedes Mitglied der
Gesellschaft auch teilnehmen darf. Derartige Lebensbereiche sind etwa die
Bereiche Sozial-, Gesundheitswesen oder Kultur- und Bildungswesen oder der
Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Wasser, damit verbunden aber die
Entsorgung von Abwasser oder Abfällen. Ob ein Lebensbereich als anerkannt bzw.
als regelmäßig vorkommend betrachtet wird ist ein dynamischer Prozess. War es
vor einem Jahrhundert nicht vorstellbar, dass die ganze Bevölkerung mit
Telefon, Radio oder Fernsehen ausgestattet sein wird, ist es heute anerkannt,
dass jedem und jeder Telekommunikation zur Verfügung gestellt werden muss und
die Benutzung dieser Medien ist auch eine regelmäßige Erscheinung in der
Gesellschaft.
Abs 3 legt fest welche Kriterien die einzelnen Gebietskörperschaften
bei der Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interessen zu beachten haben.
Leistungen im allgemeinen Interesse sind gemäß Abs.3 so zu erbringen, dass
insbesondere die Kriterien Versorgungssicherheit, soziale Erreichbarkeit,
Gesundheitsschutz und die Nachhaltigkeit erfüllt sind.
Versorgungssicherheit bedeutet, dass die Bevölkerung darauf
vertrauen kann, dass die zuständige Gebietskörperschaft nach Maßgabe
unterschiedlicher Kriterien dafür Sorge trägt, dass ihr etwa Sozial-,
Gesundheits-, Bildungsleistungen, Trinkwasser, Telekommunikation, Postdienste,
Strom, Gas und Rundfunk zur Verfügung stehen bzw. die Abwasser- und
Abfallentsorgung sichergestellt sind.
Soziale Erreichbarkeit, im Grünbuch zu den Leistungen von
allgemeinen Interesse als Erschwinglichkeit bezeichnet, stellt klar, dass
Leistungen der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung entweder zu angemessenen und
vor allem erschwinglichen Preisen (insb. bei netzgebundene Einrichtungen) zur
Verfügung stehen oder vom Staat unter Umständen unentgeltlich geleistet werden
(Gesundheits- und Sozialbereich), damit sie für jedermann zugänglich sind.
Besonderes Augenmerk sollte dabei den Bedürfnissen und Möglichkeiten von
einkommensschwachen Personen und Randgruppen gelten. Die Anwendung des
Grundsatzes der sozialen Erreichbarkeit trägt zum wirtschaftlichen und sozialen
Zusammenhalt der Gesellschaft bei.
Die Leistungen im allgemeinen Interesse sind auch unter Bedachtnahme
auf den Gesundheitsschutz zu erbringen. Gesundheitsschutz ist ein umfassender
Begriff und bei jeder einzelnen Leistungen ist nach unterschiedlichen Kriterien
vorzugehen. Im Bereich der Trinkwasserversorgung etwa ist dafür Sorge zu
tragen, dass im Rahmen der Gewährleistungspflicht die Versorgung der
Bevölkerung mit einwandfreiem (frei von gesundheitsgefährdenden Stoffen)
Trinkwasser erfolgt.
Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt vor allem aus dem Bereich des
Umweltrechts. Das Prinzip der Nachhaltigkeit beruht auf der Erwägung, dass die
den Menschen zur Verfügung stehenden Ressourcen begrenzt sind, dass aber deren
Nutzung auch künftigen Generationen ermöglicht werden soll. Die Leitidee, dass
eine Befriedigung der Bedürfnisse der Gegenwart möglich sein muss, ohne zu
riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht
befriedigen können, schlägt sich auch in einer Vielzahl politischer Programme
nieder: z.B. Agenda 21, Fünftes Aktionsprogramm der EU, Österreichischer
Nationaler Umweltplan und Amsterdamer Vertrag. Seit Abschluss
des Amsterdamer Vertrags sind Aktivitäten sowohl der öffentlichen
Hand, wie auch jene von Privaten auf ihre Nachhaltigkeit zu prüfen (Art 2 und 6
EGV, Art 2 EUV).
Die Unterscheidung zwischen marktbezogenen und nicht marktbezogenen Leistungen stellt einen Hinweis darauf dar, dass Leistungen im allgemeinen Interesse teilweise den Regeln des Marktes gehorchen und diesen auch weitgehend unterworfen werden können (z.b. Telekommunikation, Strom, Gas) und andere Leistungen, wie Sozial- und Gesundheitsleistungen aber anderen Regeln als denen des Marktes unterliegen. Je nach Art der Leistung muss daher die zuständige Gebietskörperschaft abwägen, ob sie die Leistung selbst erbringen muss oder ob ein Dritter diese erbringen kann.