Weiterer Textvorschlag des Österreichischen Städtebundes zur Verankerung der Daseinsvorsorge in der Bundesverfassung

akkordiert mit Dr. Peter Wittmann

 

 

(1)         Bund, Länder und Gemeinden haben die Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interesse (Daseinsvorsorge) zu gewährleisten und deren Qualität zu sichern.

 

(2)         Leistungen im allgemeinen Interesse sind insbesondere solche, die aus Gründen der Versorgungssicherheit, des Verbraucherschutzes, der sozialen Erreichbarkeit, der Gesundheit, der Bildung, der Nachhaltigkeit und des territorialen und sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft erbracht werden.

 

Erläuterungen:

 

Die Verankerung der Verantwortlichkeit von Bund, Ländern und Gemeinden für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge in der Österreichischen Bundesverfassung soll zum Ausdruck bringen, dass die Gebietskörperschaften bestrebt sind, die von ihnen eingeführten und erbrachten Leistungen der Daseinsvorsorge auch in Zukunft aufrecht zu erhalten. Mit der Erbringung dieser Leistungen werden grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllt. Leistungen der Daseinsvorsorge stehen der gesamten Gesellschaft, also allen Bürgern zu gleichen Bedingungen zur Verfügung und werden aufgrund gemeinwohlbezogener Überlegungen erbracht. Gemeinwohlorientierte Leistungen sollen einerseits die Grundversorgung der Bevölkerung sichern, anderseits sind sie feste Bezugspunkte des Gemeinwesens und begründen die

 

Zugehörigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu diesem. Die Erbringung von Leistungen im allgemeinen Interesse und/oder deren Qualitätssicherung durch die öffentliche Hand bringen darüber hinaus auch die Verantwortlichkeit des Staates für die Ziele des Gemeinwohls zum Ausdruck.

Die Verfassung hat heute nicht mehr die ausschließliche Aufgabe, die Bevölkerung vor Eingriffen durch den hoheitlichen Staat zu schützen bzw. den Staatsaufbau zu regeln, vielmehr soll eine moderne Verfassung, wie etwa die Schweizer Verfassung dies zeigt, auch die Verantwortung des Staates für seine Bewohner zum Ausdruck bringen. Der Staat hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Leistungsstaat entwickelt, der für seine Bevölkerung verantwortlich ist und genau das sollte auch in der Verfassung festgeschrieben werden.

Seit einigen Jahren wird insbesondere von der Europäischen Union (siehe etwa das Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse) und im Rahmen der GATS-Verhandlungen der Trend zur Privatisierung und Liberalisierung ("Weniger Staat, mehr Markt") mit der Begründung prolongiert, dass einerseits die Öffentliche Hand einsparen kann und anderseits das Preisniveau für die Verbraucher gesenkt werden könnte.

Beispiele aus Europa zeigen aber, dass Liberalisierungen nur dann zu Einsparungen bzw. Preissenkungen geführt haben, wenn die Definition hoher Qualitätskriterien vernachlässigt wurde.

Gerade die Leistungen der Daseinsvorsorge gehorchen jedoch hinsichtlich ihrer Aufgabenerfüllung anderen Gesetzen als den Mechanismen des Freien Marktes. Im Gegenteil, sie sind in erhöhtem Maß, Kriterien wie der Versorgungssicherheit, der Kontinuität, der sozialen Erschwinglichkeit, der Gesundheit, der Nachhaltigkeit, etc verpflichtet.

Leistungen der Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Strom, Gas, Telekommunikation, Rundfunk und Postdienste, aber auch

 

Sozial- Gesundheits- oder Bildungsleistungen sind Dienstleistungen, die als wesentlich für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft angesehen werden. Obwohl sie als wesentlich gelten, können diese Dienstleistungen sowohl von privaten als auch von öffentlichen Unternehmen oder von Bund, Ländern und Gemeinden selbst, teilweise hoheitlich, erbracht werden. Die Verfügbarkeit, der Preis und die Qualität der Leistungen der Daseinsvorsorge sind per definitionem von größter Bedeutung für die Verbraucher.

Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse unterscheiden sich insofern von normalen Dienstleistungen, als sie in den Augen des Staates auch dann erbracht werde müssen, wenn der Markt unter Umständen nicht genügend Anreize dafür bietet. Der Begriff der Leistungen der Daseinsvorsorge beruht auf dem Anliegen, überall gute und für alle erschwingliche Dienstleistungen zu gewähren. Diese Dienste tragen zur Verwirklichung der Ziele der Solidarität und Gleichbehandlung bei, die dem europäischen Gesellschaftsmodell zu Grunde liegen.

Gerade deshalb hat auch die Europäische Union die Bedeutung der Leistungen der Daseinsvorsorge anerkannt und haben sie Eingang in den Entwurf der Europäischen Verfassung gefunden.

 

Zum Textvorschlag im Detail:

 

Die Aufzählung der einzelnen Gebietskörperschaften soll zum Ausdruck bringen, dass Leistungen der Daseinsvorsorge von Bund, Ländern und Gemeinden erbracht werden und soll die entsprechenden Kompetenzen auch unterstreichen.

 

Der Begriff "gewährleisten" ist so zu verstehen, dass die zuständige Gebietskörperschaft die Leistung selbst oder durch Dritten erbringen lässt. Darüber hinaus ist die öffentliche

 

Hand aufgrund der Bedeutung dieser Leistungen dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass im Fall des Versagens der Leistungserbringung durch Dritte, der Staat die Leistungen auf jeden Fall in einer Art Reservefunktion bzw. Auffangverantwortung zu erbringen hat.

Die zuständige Gebietskörperschaft kann und muss bei jeder Leistung andere Kriterien heranziehen, um beurteilen zu können, in welcher Form sie die Leistungserbringung gewährleistet. Die Erbringung der Wasserversorgung ist anders zu beurteilen als die Telekommunikation oder der Postdienst. Im Bereich der Telekommunikation oder der Postdienste kann tatsächlich gänzlich privatisiert werden, wie dies auch bereits erfolgt ist  (auch an ausländische Unternehmen). Es reicht hier, um die Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können, z.B. eine Universaldienstverordnung aus, die festschreibt, dass der Anbieter eine flächendeckende Versorgung anbieten muss und der Staat evt. die Kosten durch Subventionen trägt. Im Bereich der Wasserversorgung ist nach anderen Kriterien vorzugehen, da es sich dabei um natürliche Ressourcen handelt, bzw. ein europäisches, großflächiges Netz aufgrund geographischer Hürden nicht funktionieren kann .

 

Qualität sichern heißt u.a., dass Bund, Länder und Gemeinden sich bei der Erbringungen der Leistungen - vor allem durch
Dritte - einen Einfluss in der Form sichern müssen, dass wenn die Qualität der Leistungen nachlässt, sie etwa eine sogenannte Rückholmöglichkeit haben. Sprich sie können die Leistungserbringung wieder an sich ziehen und selbst besorgen oder durch ein anderen Dritten. Diese Qualitätssicherung ist gerade im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, ferner auch in der Wasserver- und entsorgung unerlässlich.

 

 

 

Eine Definition des Begriffes "Leistungen von allgemeinen Interesse" ist insbesondere deshalb notwendig, um den Interpretationsspielraum dieses weiten und unklaren Begriffes einzugrenzen und einen Rahmen abzustecken (Die Sorge für das Gemeindeschwimmbad kann dann nicht mehr abgeleitet werden). Dies ist deshalb erforderlich, da der Inhalt dieses Staatsziels den Maßstab einer möglichen Gesetze- bzw. Verordnungsprüfung durch den Verfassungsgerichtshof bilden soll.

 

Versorgungssicherheit bedeutet, dass die Bevölkerung darauf vertrauen kann, dass die zuständige Gebietskörperschaft nach Maßgabe unterschiedlicher Kriterien dafür Sorge trägt, dass ihr Sozial-, Gesundheits-, Bildungsleistungen, Trinkwasser, Telekommunikation, Postdienste, Strom, Gas und Rundfunk zur Verfügung stehen bzw. die Abwasser- und Abfallentsorgung sichergestellt ist.

 

Soziale Erreichbarkeit stellt klar, dass Leistungen der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung entweder zu angemessenen Preisen (insb. bei netzgebundene Einrichtungen) zur Verfügung stehen oder vom Staat unter Umständen unentgeltlich geleistet werden (Gesundheits- und Sozialbereich). Besonderes Augenmerk sollte dabei den Bedürfnissen und Möglichkeiten von einkommensschwachen Personen und Randgruppen gelten.