Stellungnahme Dr. Günter Voith

 

Dr. Günter Voith                                                                            28. 9. 2003

 

ZUM KONVENTAUSSCHUSS 1:

 

STAATSZIELE UND STAATSAUFGABEN - NACH WELCHEN KRITERIEN SOLLEN STAATSAUFGABEN DER EINFACHEN MEHRHEIT ENTZOGEN WERDEN; UND WIE KANN DIES IN DER VERFASSUNG FORMULIERT WERDEN?

 

I. AKTUELLE AUFGABENSTELLUNG

 

Die Kritik an der jetzigen Verfassungssituation und damit die Hauptaufgaben für den Konvent konzentrieren sich auf:

* Überladung, Unübersichtlichkeit > Verfassung abspecken

* Versteinerung, Unflexibilität, Detailregelungen anstatt Zielvorgaben > Konzentration auf langfristig gültige Grundsätze, Ermöglichung laufender Aktualisierung des "Wie" und des "Wer", "reduktionistische" Verfassung

* Kaum Aussagen zu staatlichen Zielen und Aufgaben > Definition, was dem Staat a)im Verfas-sungsrang, b) nicht im Verfassungsrang vorbehalten ist (Kernaufgaben/Gewährleistungsaufgaben/ Leistungsaufgaben), auch als Vorgaben und eine schlanke und flexible Verwaltung

* Priorität des Legalitätsprinzips mit wenig Rücksicht auf Sinnhaftigkeit und Kosten > Priorität des "Bürgerservice", der nachhaltigen Effizienz  und des Kosten/Nutzen-Prinzips

* Widersprüchlichkeiten zu Zielen und Aufgaben der EU > Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen EU-Vorgaben.

 

II. FUNKTIONEN DER VERFASSUNG

 

Die Verfassung muss für langfristige Gültigkeit festhalten, was nicht der laufenden politischen Entscheidung, sprich einfacher Gesetzgebermehrheit, überlassen werden soll und was schon. Im Sinne der oben angeführten Erneuerungsforderungen soll sich auf Wesentliches beschränken, was der 2/3-Mehrheit (oder der Volksabstimmung) vorbehalten bleibt. Dieses Wesentliche soll tagespo-litischen Änderungswünschen weitgehend entzogen sein, z. B. auch durch ein Inkorporierungs-gebot.

Diese wesentlichen Funktionen der Verfassung sind (NUR!) das Festhalten von:

1. Grund- (Bürger-) Rechten und deren Sicherung,

2. Bildung und Kompetenzen der obersten Institutionen von Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit von Bund und Ländern und Regeln für Kompetenzkonflikte, sowie Kontroll- und Rechtsschutzmaßnahmen,

3. Grundzügen und Grundzielen der Organisation der staatlichen Verwaltung und

4. (eventuell!) Wahlrechtsnormen.

 

Bei dieser Gelegenheit: Es ist eine dringende Forderung der Wirtschaft, die Wahlgänge (wegen zu vieler „Totzeiten“ von Wahlkämpfen) zu verringern, durch längere Legislaturperioden (mit fixen Jahren, notfalls Zwischenwahlen für kürzere Perioden) und/oder Zusammenlegung von nationalen und regionalen Wahlen.

 

 

 

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III. STAATSZIELE

 

Das Festschreiben von Staatszielen sollte, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend und weit gefasst werden, aus folgenden Gründen:

1.      Staatsziele können einerseits mehr sein als verfassungsrelevant sind, und andererseits schnelleren Änderungen unterworfen, als eine Verfassung gelten soll.

2.      Damit sind schnell weltanschauliche und ideologische Debatten verbunden,

      3.  Allgemein akzeptable Staatsziele können nur in deklaratorischen "No-Na"-Definitionen, wie   „Wohlfahrt", "Sicherheit", "Durchsetzung der staatlichen Ordnung" o. ä. enden,

      4. Konkrete rechtliche Wirkung können Zielformulierungen allein nicht haben, lassen aber   andererseits politischer Interpretation und damit Rechtsunsicherheiten und Umgehungen von Verfassungsnormen breiten Raum.

 

Allenfalls könnten aus "optischen" Gründen erwünschte Deklarationen von Staatszielen in eine rechtlich kaum wirksame Präambel gepackt werden.

 

Weiters könnten einfach der Schutz und die Garantie der Grund- und Bürgerrechte - und nur dies! - als Staatsziele deklariert werden (siehe das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland!).

 

IV. VERANTWORTUNGS- UND AUFGABENBEREICHE

 

Konkret soll sich die Formulierung der oben  angeführten Funktion 2. (Aufgaben und Kompe-tenzen der obersten Institutionen) auf große, problemorientierte, final determinierte Verantwor-tungsbereiche des Staates konzentrieren (was auch als Hinweise auf Staatsziele gesehen werden kann). Innerhalb dieser Verantwortungsbereiche sind Aufgaben (nicht als taxative Aufzählung!) und deren Zuordnung zu Institutionen zu definieren, und zwar so, dass manche dieser Aufgaben-bereiche als "Kernaufgaben" verstanden werden können, aber unbedingt Platz dafür gelassen wird, dass es auch viele anders zu ordnende Aufgabengebiete gibt ("Gewährleistungsaufgaben", "ausglie-derbare Aufgaben" o. ä.).

 

Die Frage, wie weit die Bewältigung der staatlichen Aufgaben durch staatliche Organe erfolgen soll und wie weit im Sinne moderner Verwaltung durch private Organisationen, PPP und ähnliches, soll nicht Gegenstand von verfassungsrechtlichen Regelungen, sondern flexibler, auf Effizienz bedach-ter Handhabung durch die Verwaltung  sein.

 

V. VERFASSUNGSBEREICH - EINFACHGESETZBEREICH

 

Was soll der Verfassungsmehrheit vorbehalten bleiben - unter Berücksichtigung der Forderung nach Reduktion der Verfassungsnormen? Werden, wie oben angedacht, nur große Verantwor-tungsbereiche und nur zum Teil Einzelaufgabenbereiche innerhalb dieser großen Bereiche in der Verfassung selbst angeführt, so ergibt sich automatisch ein bedeutend größerer Spielraum für die (laufende, "tages"politische) Einfachgesetzgebung als jetzt und gleichzeitig ein stärkeres Signal, die Verfassungsbestimmungen längerfristig unverändert zu

 

belassen. (Sicherlich stecken hier allerhand Teufelchen im Detail, doch ist deren Überwindung Sache der weiteren Gespräche im Konventaus-schuss). ---