Bregenz, 02.10.2003

 

 

Positionspapier zu

Ausschuss 1 Staatsaufgaben und Staatsziele

 

 

 

1. Allgemeine Bemerkungen zu Staatsaufgaben und Staatszielen

 

 

Begriffe

 

Die beiden Begriffe sind nicht zu leicht voneinander zu trennen. Allgemein sind Aufgaben mit einer Gewährleistungsverpflichtung des Beauftragten verbunden. Ziele dagegen kehren die Finalität einer bestimmten Verpflichtung hervor. Das Ausmaß der Zielerreichung bleibt vergleichsweise ungewiss. Man könnte in gewisser Hinsicht von Gewährleistungen (Aufgaben) und Programmen (Zielen) sprechen.

 

 

Anreicherung einer Verfassung mit Gewährleistungen und Programmen

 

Es entspricht heute dem Standard der Verfassunggebung, dass sich die Grundordnung nicht wertneutral gibt, sondern etwa die Ziele und Gewährleistungen des von ihr verfassten Gemeinwesens definiert wie auch gemeinsame Werte, auf denen dieses aufbaut, formuliert.

Als nationales Beispiel sei die neue Schweizerische Bundesverfassung aus dem Jahre 1999 angeführt, die in ihrem Art 2 den Zweck der Schweizerischen Eidgenossenschaft definiert und in ihrem Art 41 Sozialziele verankert. Auf der internationalen Ebene ist der Entwurf einer Europäischen Verfassung zu nennen, die in Art 3 Ziele der Union bestimmt.

Derartige Grundsätze sind deshalb sinnvoll, weil sie die legitimatorische Kraft der Verfassung verbessern und dem politischen Entscheidungsprozess Orientierung geben. Weiters kommt ihnen als Auslegungsmaßstab Bedeutung zu.

 

 

Strukturelle Neukonzeption in der österreichischen Verfassung

 

Die österreichische Bundesverfassung kennt einige unsystematisch und zusammenhanglos eingefügte Staatsziele und Gewährleistungsverpflichtungen (zB Art 7 Abs 1 dritter Satz und Abs 2 B-VG; B-VG über den umfassenden Umweltschutz).

Im Rahmen der Erarbeitung einer neuen Bundesverfassung ist eine strukturelle Neukonzeption der Staatsziele und Staatsaufgaben anzustreben. Diese Neukonzeption muss folgende Grundsätze beachten:

 

 

-        Wahrung demokratischer Gestaltungsfähigkeit:

 

Die Formulierung von verfassungsrelevanten Staatsaufgaben und Staatszielen muss auf einem relativ abstrakten Niveau erfolgen. Anders als bei den Grundrechten geht es nicht um konkrete Eingriffsschranken oder (bei sozialen Grundrechten) um konkrete Ansprüche, sondern um Gewährleistungen, deren exakten Inhalt und Reichweite die Verfassung gerade nicht determinieren kann, wenn sie dem demokratischen Entscheidungsprozess überhaupt noch einen Raum verschaffen will. Die konkrete Ausformung der Aufgaben und Ziele muss der Disposition der zuständigen Entscheidungsträger überlassen bleiben.

 

-        „Kernaufgaben“ und „sonstige Aufgaben“

 

Es geht darum, solche Aufgaben zu definieren, für die eine Gewährleistungsverpflichtung bestehen sollte. Für die nicht darunter fallenden „sonstigen Aufgaben“ bedarf es keiner verfassungsrechtlichen Erwähnung, insbesondere auch nicht einer Äußerung der Bundesverfassung, ob sie wahrgenommen werden sollen oder nicht. Dies wäre, soweit überblickbar, auch im internationalen Bereich unüblich, weil Gewährleistungen und Programme – etwa im Gegensatz zu Grundrechten - die Funktion haben, staatliches Handeln zu legitimieren und nicht zu beschränken. Dem Verweis in Punkt 1. des Ausschussmandats auf die „Grenzen des Staates“ kann daher nur insoweit gefolgt werden, als die Gewährleistungen und Programme die Grenzen der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Tätigwerden des Staates aufzeigen.

 

-        Aufgabenzuordnungen

 

Die konkreten Aufgabenzuordnungen erfolgen in jedem dezentralisierten Staatswesen in der Kompetenzverteilung. Sie bilden nicht Gegenstand dieser Ausschussberatungen.

Es sollte klar sein, dass die von der Bundesverfassung aufgestellten Gewährleistungsverpflichtungen den Gesamtstaat (siehe etwa die Formulierung derselben in Art 41 der Schweizerischen Bundesverfassung) betreffen. Wer dafür zuständig ist, muss aus der Verteilung der Kompetenzen hervor gehen.

 

 

 

2. Bemerkungen zur legistischen Verankerung und möglichen Orientierungen

 

Ein wesentliches Ziel der Konventsarbeit besteht darin, eine schlanke, übersichtliche Verfassung zu erarbeiten. Dies bedeutet gerade auch im Hinblick auf Staatsaufgaben und Staatsziele, dass jede Überfrachtung des Verfassungstextes vermieden werden muss. Dies wäre nicht nur legistisch schädlich, sondern würde den Katalog entwerten. Die Gewährleistungen und Programme müssen auch so formuliert sein, dass ihre Inhalte in der politischen Realität auch tatsächlich eingelöst werden können.

 

Hinsichtlich der legistischen Umsetzung wird wohl nur eine Verankerung von Staatsaufgaben und Staatszielen in einigen wenigen und knapp gehaltenen Artikeln in Betracht kommen.

 

Der Einleitung der Verfassungsurkunde durch eine Präambel, in der allenfalls auf bestimmte gemeinsame Werte, die dem verfassten Gemeinwesen zugrunde liegen, Bezug genommen werden könnte, kommt vergleichsweise weniger Bedeutung zu, mag dies auch in neueren Verfassungstexten (Schweizerische Bundesverfassung, Entwurf einer Europäischen Verfassung) nicht unüblich sein.

 

Für eine Auswahl der in Betracht kommenden Staatsaufgaben und Staatsziele bieten bereits die Landesverfassungen der österreichischen Länder reichlich Anschauungsmaterial, ebenso aber deutsche und schweizerische Verfassungstexte. Es darf angemerkt werden, dass die Vorarlberger Landesverfassung einen im deutschsprachigen Raum diesbezüglich anerkannten Verfassungstext darstellt.