Einführende
Überlegungen zu Sinn und Zweck bundesstaatliche Differenzierung in der
Gesetzgebung bzw einer homogenen Gesetzgebung
(Kurzfassung)
1. Der Bundesstaat ist eine wertegebundene
Staatsform. Ein Bundesstaat ist nicht ein bloßes organisationsrechtliches
Konzept der dezentralen Erfüllung von Staatsaufgaben, ein föderativer
Staatsaufbau ist ohne Verständnis der dem Föderalismus zugrunde liegenden Werte
nur schwer verständlich. Diese Werte, Verfassungswerte, sind nicht einseitig
ideologisch geprägt. Der Föderalismus lässt sich – sieht man einmal von
radikalen Staatsvorstellungen ab - in fast allen Facetten der Staatsphilosophie
finden. Von der christlichen Soziallehre bis zum friedlichen Anarchismus spannt
sich ein breiter Bogen und eine breite Palette von philosophischen Begründungen
für einen Bundesstaat als sinnvolle Staatsstruktur einer demokratisch
verfassten Gesellschaft.
Die wichtigsten
Kriterien des Föderalismus sind: Subsidiarität, die Pluralität,
demokratisch-politischer Systeme auf einem Territorium, Koordination und
Kooperation der im Bundesstaat vereinigten Gebietskörperschaften, die
Partizipation der Teilordnungen an der Gesamtordnung. Dies sind klassische
föderalistische Wertvorstellungen, die auch einer kritischen Analyse im 21.
Jahrhundert standhalten können.
2. Ein
Wesenselement des Bundesstaates ist der politische Wettbewerb zwischen den
einzelnen Gliedstaaten, aber auch zwischen den Landesrechtsordnungen und dem
Bund. Ein ausreichendes Maß an Verfassungsautonomie der Länder garantiert diesen
im Rahmen einer gewissen notwendigen bundesstaatlichen und demokratischen
Homogenität eine relativ freie Gestaltung des politischen Prozesses. Darüber
hinaus garantiert der verfassungsrechtlich gesicherte Kompetenzbereich der
Länder, dass diese ihre Verwaltungsmaterien weitgehend nach eigenen
Vorstellungen gestalten können. Die Folge davon ist die Herstellung einer
Vergleichbarkeit unterschiedlicher Modelle von Sachlösungen unter den Ländern.
Es ist nicht nur Theorie, sondern auch gelebte politische Praxis, dass einzelne
Länder, welche im Rahmen dieses politischen Wettbewerbs bessere Lösungen
anbieten als andere sukzessive Vorbildcharakter erreichen und dass andere
Länder wiederum den Versuch machen ihrerseits die optimalsten Lösungen
einzubringen. Ein solcher föderalistischer Ideenwettbewerb kann bei bestimmten
Ideen auch zwischen Bund und Ländern stattfinden. Eine solche politische
Konkurrenz befördert die demokratische Dynamik und ist zumindest tendenziell
geeignet, Erstarrungen politischer Systeme und eingefahrener Sachlösungen
zumindest zu lockern. Solche Beipiele gibt es zahlreich im Bereich des
Landesverfassungsrechts, des Baurechts, des Naturschutzrechts, des
Sozialhilferechts, des Krankenanstaltenrechts uam.
3.
Bundesstaatliche Verfassungen sind selten bis nie Ergebnisse
verfassungsrechtlicher Planungsprozesse am Grünen Tisch. Vielmehr stellen –
auch rechtsvergleichend betrachtet - die in einem Bundesstaat vereinigten
Gliedstaaten stets spezifische historische, kulturelle und naturräumliche regionale
Identitäten dar. Bundesstaatliche Verfassungen können nur dann Akzeptanz
erlangen, wenn die historischen Gegebenheiten, die spezifischen
politisch-geographischen Eigenarten und die historisch entwickelten Demokratie-
und Rechtstraditionen des jeweiligen Landes auch entsprechenden
verfassungsrechtlichen Respekt erhalten. Auch in Österreich ist der Bezug der
Bürgerinnen und Bürger der Länder zu ihrem Bundesland stets mit dem Begriff der
„Heimat“ also auch mit der emotionalen Identifikation mit dem entsprechenden
Gliedstaat verbunden. Verfassungsreformen, welche die historisch gewachsenen
Landschaften und die historisch gewachsenen Landesbindungen der Bevölkerung
ignorieren, werden kaum größere Chancen auf Akzeptanz finden. Dies muss
besonders betont werden, da eine Zusammenführung von Ländern zu Ländergruppen,
wie dies teilweise angedacht wird, als Gesamtänderung der Bundesverfassung
obligatorischen Volksabstimmungen unterzogen werden muss.
4. In einem
Bundesstaat besteht eine Pluralität von demokratischen Einrichtungen. In
Österreich sind Bund, Länder und Gemeinden demokratisch verfasst. Alle drei
Gebietskörperschaften weisen ein reges durchaus eigenständiges demokratisches
Leben auf. Trotz vielfältiger nivellierender Tendenzen bleiben die demokratischen
Systeme dieser Gebietskörperschaften für die Bürgerinnen und Bürger durchaus
unterscheidbar, wie es, trotz verkürzender Medienberichte, die Diskussionen um
Gemeinde-, Landtags- und Nationalratswahlen beweisen. In einem Bundesstaat
wächst ein Bürger eingebettet in diese demokratische Pluralität heran, was
wenigstens potentiell zweifellos demokratisches Verhalten und Umgang mit
demokratischen Institutionen leichter macht als dies in einem Einheitsstaat der
Fall ist, wo die Bürger in der Regel auf die Wahl der Zentralparlamente
angewiesen sind.
5. Ob größere oder kleiner Einheiten bessere
Problemlösungskapazitäten aufweisen, ist ein alter Streit, der zu
unterschiedlichen Moden von Zentralisation und Dezentralisation geführt hat.
Die Wirtschaftswissenschaften geben dem Föderalismus unter dem Gesichtspunkt
von Effizienz- und Kostenaspekten durchaus gute Noten. Die immer wieder gehörte
These, dass dezentrale Verwaltung und das Nebeneinander und Miteinander von
Bundes- und Landesverwaltung wesentlich höhere Kosten verursache als eine
zentralstaatliche unitarische Form der Aufgabenbesorgung konnte bisher
empirisch nicht nachgewiesen werden.
Neben der ökonomischen Leistungsfähigkeit des
Bundesstaates müssen auch die demokratischen Kosten einer bürgernahen Verwaltung,
einer differenzierten, auch kleinräumige Gegebenheiten berücksichtigenden
regionalen Gesetzgebung und die demokratischen Kosten ins Kalkül gezogen
werden.
Ein
Mindeststandard an bundesstaatlicher Homogenität ist in jedem föderativen
Staatsaufbau nötig. Eine gewisse Homogenität der demokratischen Einrichtungen,
eine gewisse grundsätzliche Homogenität der wichtigsten Regelungsbereiche ist
in einer Zeit von hoher sozialer und auch sonstiger Mobilität unerlässlich.
Dass etwa neun Länder auf dem kleinen Territorium Österreichs neun gänzlich
unterschiedliche Rechtskulturen, Schulsysteme, Verkehrssysteme uam haben
könnten, wird aber heute von niemandem mehr ernsthaft gefordert. Vielmehr
stellt sich die Frage, wie eine bundesstaatliche Homogenität mit einer weitgehenden
Autonomie der Länder vereinbar ist. Am besten kann ein solches Konzept
funktionieren, indem die Bundesverfassung gewisse demokratische, soziale und
andere Mindeststandards vorgibt, an die die Länder jedenfalls gebunden sind.
Darüber hinaus steht es aber den Ländern im föderalistischem Wettbewerb frei,
Verbesserungen oder Adaptierungen nach dem Willen der Landesbürgerinnen und
Landesbürger vorzunehmen.
7.
Bundesstaaten zeichnen sich durch eine spezifische Form der Gewaltenteilung
aus. Diese territoriale Gewaltenteilung bedeutet, dass Bund und Länder auf
einem Territorium ihre Staatsgewalten wirksam werden lassen. Anders als im
Zentralstaat, wo alle Staatsgewalt von einer einzigen Quelle ausgeht, hat man
im Bundesstaat eine Vielzahl an demokratischen Gewalten, welche zueinander
nicht nur in einer kooperativen, sondern auch in einer gewaltenteilenden und
gewaltenhemmenden Beziehung stehen. Die vielfach beklagten Mitkompetenzen und
Teilkompetenzen von Bund und Ländern in bestimmten Regelungsbereichen sind
keinesfalls nur negativ zu sehen. Zwar erschweren sie rasche und einfache
Problemlösungen, sie verhelfen den Problemlösungen jedoch zu breiterer
Akzeptanz und fördern die Einbindung vielfältigerer Interessen als dies im
zentralistischen Entscheidungssog der Fall ist.
8. Die
Bundesstaatsreform kann nicht ohne den Hintergrund der österreichischen
Mitgliedschaft in der EU gesehen werden. Die Europäische Union wird zwar nicht
zwar der alleinige Maßstab für eine Föderalismusreform sein, die Reform der
Aufgabenverteilung zwischen Bund und Länder muss sich jedoch an den Spezifika
der europäischen Rechtssetzung orientieren. Dazu wird es nötig sein, den
herkömmlichen Materienbezug der Kompetenzartikel des B-VG durch einen dem
Gemeinschaftsrecht eigenen Staatsaufgabenbezug, der sich stärker an
Lebenssachverhalten als an überkommenen juristischen Klassifikationstraditionen
orientiert, zu berücksichtigen. Es muss aber betont werden, dass auch in der
Europäischen Union kein klares Konzept einer juristischen Systembildung der
Aufgaben der Gemeinschaft erkennbar ist. Das bedeutet, dass auch der
Bundesverfassungsgesetzgeber bei der Reform der Kompetenzartikel keine
wirkliche Unterstützung durch systematische Ansätze des Gemeinschaftsrecht
erfahren kann. Man wird hier manche klassischen Materien in Staatsaufgaben nach
dem Vorbild des Gemeinschaftsrechts umformulieren können, das
Gemeinschaftsrecht selbst bietet aber nur eine geringe Hilfe bei der Schaffung
der geforderten „abgerundeten Kompetenzen“.
9. Die Erfahrung, die auch andere Bundesstaaten
gemacht haben, deutet in eine ähnliche Richtung hin: Die Kompetenzstruktur des
Gemeinschaftsrechts ist für Bundesstaaten nur bedingt hilfreich bei der
Neuformulierung der Kompetenzartikel. Kompetenzgebrauch muss vielmehr
dynamischer gestaltet werden. Das würde etwa für Österreich bedeuten, dass die
spezielle Transformationspflicht von 15 a – B-VG-Verträgen zugunsten einer
generellen Transformationsfähigkeit aufgegeben werden muss. Auf diese Art und
Weise könnten Bund-Länderkooperationen eingegangen werden, welche Rechtsakte
hervorbringen können, die unmittelbar anwendbar sind. Damit wäre eine
wesentliche Erleichterung bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in
nationales Recht geschaffen. Nicht hilfreich ist der Vorschlag, dass man anhand
des Gemeinschaftsrecht eine Kompetenzgrenze zwischen Bundes- und
Landeskompetenzen dergestalt zieht, dass jene Rechtsmaterien, welche auf einen
ausschließlichen oder doch überwiegenden Nachvollzug des Gemeinschaftsrechts
hin orientiert sind, in die Bundeskompetenz überträgt. Dem ist zum einen
entgegenzuhalten, dass die Dynamik des Gemeinschaftsrechts weitgehend
unabsehbar ist und eine offene Kompetenzverteilung nicht nur die
Rechtssicherheit untergräbt, sondern auch schlichtweg nicht handhabbar sein kann.
Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die meisten Richtlinien, welche
von Bund und/oder Länder umgesetzt werden, meist nur Teile von Bundesmaterien
oder vom Landeskompetenzbereich darstellt. So stellt etwa die
Wasserrahmenrichtlinie nicht ein bloßes kompetenzrechtlich dem Wasserrecht
zuzuordnendes Regelwerk darf, sondern berührt verschiedenste andere
Kompetenzbereiche von Bund und Ländern. Hierbei den Ländern alle Kompetenzen
bei der Umsetzung wegzunehmen, würde zweifellos zu weit gehen. Auch die
Umsetzung der SEVESO II-Rl oder die Umsetzung von Natura 2000 durch die
Schaffung entsprechender Bundeskompetenzen wäre zweifellos nicht sinnvoll.
Gerade die beiden letztgenannten Richtlinien zeigen, dass hier die Umsetzung
doch sehr stark auf regionale Gegebenheiten und Problemlagen vor Ort
abzustellen ist. Dies geschieht durch landesrechtliche Regelungen immer noch
besser als durch einheitliches Bundesrecht. Darüber hinaus ergibt eine Analyse
der umzusetzenden Richtlinien, dass ohnehin der überwiegende Teil dieser
Richtlinien bereits im Kompetenzbereich des Bundes liegt.