Erstes Positionspapier der
WKO
zum Österreich-Konvent
I.
Grundprinzipien der Neuordnung der Bundesverfassung
Zusätzlich zu den Bauprinzipien der geltenden Bundesverfassung und den Grundsätzen
der Effizienz und Sparsamkeit sollte sich die Neuordnung
des österreichischen Bundesverfassungsrechts am Subsidiaritätsprinzip und am Prinzip
der Einheit des Wirtschaftsgebietes orientieren. Das Prinzip der Einheit
des Wirtschaftsgebiets ist vor dem Hintergrund des Binnenmarktprinzips der
Europäischen Union zu sehen. Auch der Subsidiaritätsgrundsatz wird ein
wesentliches Prinzip der Europa-Verfassung sein.
II.
Einzelbereiche der Reform gegliedert nach den vorgesehenen Ausschüssen
1.
Staatsaufgaben und Staatsziele
·
Herbeiführung eines angemessenen, d.h. Doppelgleisigkeiten und Widersprüche vermeidenden
Verhältnisses der österreichischen Staatsaufgaben zu den Zielen und Aufgaben
der EU.
·
Bei der Aufnahme von
österreich-spezifischen Staatszielen und wertenden Aussagen sollte große
Zurückhaltung geübt werden.
·
Die neue Bundesverfassung soll im Wesentlichen
als sog "Spielregelverfassung" ausgestaltet werden, die Organe, Kompetenzen
und Verfahren festlegt.
·
Entscheidungen über Kernaufgaben sind im
Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Regelung einzelner Sachbereiche (zB
Gerichtsbarkeit, Militär, Polizei) zu treffen.
2.
Legistische Strukturfragen
·
Weitestgehende Sammlung und Konzentration
des geltenden Verfassungsrechts in einer Urkunde.
·
Einführung eines Inkorporationsgebotes
für die Zukunft.
·
Keine Formulierungsänderung des
derzeitigen Legalitätsprinzips (weitere Ausführungen zum Legalitätsprinzip in
Punkt 3.).
3.
Staatliche Institutionen
·
Aufwertung des Bundesrates:
-
in personeller Hinsicht sollte die
Entsendung des Landeshauptmannes, allenfalls auch (sofern es sich dabei um
eine vom Landeshauptmann verschiedene Person handelt) des Landesfinanzreferenten,
in eventu auch von Landtagsabgeordneten überlegt werden;
-
Einführung der blockweisen Abgabe der
Länderstimmen; die Meinungsbildung über die Abstimmung müsste zuvor auf Landesebene
erfolgen;
-
bei der Neuverteilung der Aufgaben
zwischen Bund und Ländern ist die Frage der Erhöhung der rechtlichen Bestandskraft
der Bundesratsbeschlüsse etwa in Gestalt der Einführung von zusätzlichen
Zustimmungserfordernissen bei bestimmten Bundesmaterien zu klären.
·
Neubestimmung des Verhältnisses des
Legalitätsprinzips zu soft law wie etwa Rechtsetzung durch Selbstverwaltungseinrichtungen
(Standesregeln) oder durch ad hoc
zusammengesetzte Gremien wie zB den „Österreichischen Arbeitskreis für
Corporate Governance“, der den Österreichischen Corporate Governance – Code
ausgearbeitet hat.
·
Verankerung der Kammern und der
Sozialpartnerschaft in der Verfassung.
4.
Grundrechtskatalog
·
Abstimmung mit der künftigen
EU-Verfassung – Vermeidung von Wertungswidersprüchen.
5.
Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
·
Problemorientierte Verteilung der
Kompetenzen unter Schaffung großer, final determinierter
Verantwortungsbereiche mit beweglichen Elementen. Dabei muss auf die Wahrung
der Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebiets Bedacht genommen werden.
·
Berücksichtigung der Verhältnisse und
Mechanismen in der EU sowie der Dynamik der europäischen Rechtsetzung durch
unmittelbar geltendes EU-Recht und im Zusammenhang mit der Festlegung
innerstaatlicher Umsetzungszuständigkeiten. Der Bereich ausschließlicher
EU-Zuständigkeiten, andere Bereiche sofern und soweit die EU von ihrer
Zuständigkeit unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips Gebrauch gemacht hat,
sollten jedenfalls in die Bundeskompetenz fallen.
·
Schaffung taxativer Kataloge von
ausschließlichen Bundeszuständigkeiten und ausschließlichen
Landeszuständigkeiten sowie einer Generalklausel, die alle Restbereiche als
„geteilte Zuständigkeiten“ festlegt. („Geteilte Zuständigkeiten“ können vom
Bund (insbes. zur Wahrung der Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebiets) und von
den Ländern – von letzteren sofern und soweit der Bund die jeweilige
Zuständigkeit nicht in Anspruch genommen hat - wahrgenommen werden).
·
Vor der Inanspruchnahme einer „geteilten
Zuständigkeit“ durch den Bund muss ein zu schaffender „Subsidiaritätsmechanismus“
(mit nachträglicher Anrufungsmöglichkeit des VfGH) eingehalten werden.
·
Den Bundesländern könnte größere
Verfassungsautonomie eingeräumt werden (z.B. Ausbau direktdemokratischer
Elemente in den Landesverfassungen).
·
Ausbau von Vereinbarungen im Bundesstaat
(zwischen Bund und Ländern sowie Ländern untereinander) nach Art 15a B-VG über
Angelegenheiten ihres eigenen Wirkungsbereiches dahingehend, dass dadurch
unmittelbar anwendbares Recht geschaffen werden kann.
6.
Reform der Verwaltung
·
Weitestgehende Föderalisierung der
Vollziehung durch Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung.
·
Die Abschaffung der mittelbaren
Bundesverwaltung erfordert eine bundesverfassungsrechtliche Neukonzeption der
Landesverwaltung: Anzustreben ist generell ein System der "Ministerialverwaltung"
in den Ländern. Das jeweils zuständige Mitglied der Landesregierung muss in
Bezug auf die Vollziehung von Landesgesetzen dem Landtag, in Bezug auf die
Vollziehung von Bundesgesetzen dem Nationalrat verantwortlich sein. Weiters
soll dem Nationalrat die Möglichkeit der Anklage des jeweils für die
Vollziehung von Bundesgesetzen verantwortlichen Mitglieds der Landesregierung
wegen Gesetzesverletzung beim VfGH zukommen.
·
Schaffung neuer Instrumente zur Wahrung
der Einheitlichkeit des Vollzugs wie zB
-
Erlassung "qualifizierter
Verordnungen" durch den zuständigen Bundesminister
-
Abgabe "interpretativer
Erklärungen" zu Bundesgesetzen (etwa durch den jeweils zuständigen
Ausschuss des Nationalrats)
-
Möglichkeit der Erlassung von Maßnahmen
zur Vereinheitlichung des Vollzugs erstinstanzlicher Landesbehörden durch das
jeweils zuständige Mitglied der Landesregierung.
·
Ermöglichung "öffentlich-rechtlicher
Verträge" über Gegenstände des jeweiligen Wirkungsbereichs zwischen
Staats- und Gemeindeebene.
·
Eröffnung der Möglichkeit für Bund und
Länder, im Wege des Art 15a B-VG gemeinsame organisatorische Einrichtungen mit
behördlichen Funktionen zu errichten.
·
Verpflichtung eine schlanke und
effiziente Verwaltung zu gewährleisten durch verschiedene
verwaltungstechnische Mittel:
-
Beseitigung von Doppelgleisigkeiten und
Parallelstrukturen in Verbindung mit technischer Modernisierung durch
adäquaten IT-Einsatz und Schaffung einer klaren, ressortübergreifenden
IT-Kompetenz;
-
Ausbau und vermehrter Einsatz von
e-Government; Realisierung der "Bürgerkarte";
-
Schaffung von Kompetenzzentren in den
Ländern insb. für die Besorgung von Supportprozessen (zB EDV, Buchhaltung);
-
verfassungsrechtliche Verpflichtung zur
Anwendung von Methoden des New Public Management (Abkehr von der Kameralistik,
Einführung von Globalbudgets, Umstellung der Verwaltung von Input- auf
Outputsteuerung).
·
Nutzung der Strukturen der
Selbstverwaltung durch Ausweitung der in den jeweiligen übertragenen
Wirkungsbereichen zu besorgenden Aufgaben.
·
Aufwertung der Gemeinden und der
wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften als bürgernahe
"front-offices" und Anlaufstellen für die Ämter der Landesregierungen
oder Bezirksverwaltungsbehörden.
·
Da die derzeitige Zersplitterung im Dienstrecht der Gebietskörperschaften
einen enormen legistischen und administrativen Aufwand bewirkt, sollten in
Hinkunft alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes in nach einheitlichen Grundsätzen geregelten privatrechtlichen Dienstverhältnissen
stehen, d.h. aber nicht, dass in bestimmten Bereichen diese Verträge nicht eine
besondere Bestandskraft besitzen sollten.
·
Neuordnung der verfassungsrechtlich
vorgegebenen Verwaltungsstrukturen wie zB:
-
Schul- und Wissenschaftsverwaltung
-
Sozialverwaltung
-
Rechtsschutz (siehe Punkt 9.)
7.
Strukturen besonderer Verwaltungseinrichtungen
·
Schaffung einer Grundsatzregelung
betreffend die einfachgesetzliche Möglichkeit der Errichtung unabhängiger
Regulierungsbehörden unter Ermöglichung des Einbezugs von Personen mit
besonderer Sachkenntnis in den jeweiligen Bereichen
·
Vereinheitlichung der Strukturen der
Regulatoren und Zusammenfassung ihrer gemeinsamen Dienste (zB Raum- und
Personalmanagement, EDV, Bibliothek)
·
Nutzung der Strukturen der
Selbstverwaltung im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes durch Ausweitung der in
den jeweiligen übertragenen Wirkungsbereichen zu besorgenden Aufgaben.
8.
Demokratische Kontrollen
·
Erstreckung des Verwaltungsbegriffes der Bundesverfassung
auch auf Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung, die auf private
Rechtsträger übertragen wurden
·
Schaffung geeigneter neuer
Kontrollmöglichkeiten für den Nationalrat für den Fall der Abschaffung der
mittelbaren Bundesverwaltung (siehe Punkt 6.)
·
Auch die Berichterstattung im Rahmen der
Rechnungshofkontrolle und der Volksanwaltschaft (sofern die Länder diese durch
Landesverfassungsgesetz auch für ihren Bereich für zuständig erklärt haben)
richtet sich in Bereichen der Landesvollziehung nicht an den
Bundesgesetzgeber. Auch diesbezüglich müssten im Falle eines verstärkten
„Vollzugsföderalismus“ neue bzw zusätzliche Informations- und Berichtspflichten
geschaffen werden.
9. Rechtsschutz,
Gerichtsbarkeit
·
Ersetzung der unabhängigen
Verwaltungssenate in den Ländern durch echte Landes-Verwaltungsgerichte. Aus
Gründen der Effizienz und Sparsamkeit sowie des möglichsten Gleichklanges der
Entscheidungen sollten die Landesverwaltungsgerichte in vier Sprengel, die etwa
den OLG-Sprengeln entsprechen könnten, zusammengefasst werden. Der Sitz dieser
Verwaltungsgerichte könnte dann jeweils in einer anderen Landeshauptstadt als
der Sitz des OLG sein. In den Ländern sollte daher lediglich eine Verwaltungsinstanz
vor dem Landes-Verwaltungsgericht bestehen.
·
Ausstattung der Verwaltungsgerichte mit
reformatorischer Entscheidungsbefugnis, um eine wirkliche Beschleunigung des
Verfahrens zu bewirken.
·
Reduktion der Kollegialbehörden mit
richterlichem Einschlag, weitgehende Überführung ihrer Agenden auf die
Verwaltungsgerichte.
·
Gänzliche Abschaffung der sukzessiven
Zuständigkeit, was durch die Einführung von Landesverwaltungsgerichten auch
sinnvoll möglich wird.
·
Förderung von dem Verwaltungsverfahren
vor- oder zwischengeschalteter außerbehördlicher Einigungsversuche (Mediation)
mit dem Ziel, eine Inanspruchnahme sämtlicher Instanzen der
Verwaltungsgerichtsbarkeit möglichst unnötig zu machen.
10.
Finanzverfassung
(Die Positionierung erfolgt zeitgerecht vor Einsetzung des entsprechenden Ausschusses).