Der vorgeschlagene Entwurf verbindet die Garantien der Art 6 und 18 StGG
über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus 1867 und Art 4 EMRK in einem
einzigen Artikel. Er entspricht weitgehend den inhaltlichen Anforderungen des
Art II-15 des Verfassungsentwurfs der Europäischen Union. Im Einzelnen ist auf
die folgenden inhaltlichen Weiterentwicklungen hinzuweisen, die Gegenstand der
Diskussion im Ausschuss sein sollen:
1. In Abs 1 wird zur Diskussion gestellt, ob
eine künftige Berufs- und Erwerbsfreiheit ein Menschenrecht oder ein bloßes
Staatsbürgerrecht sein soll. Der Status quo ist, dass zwar die Berufsfreiheit ein Menschenrecht, die
Erwerbsfreiheit jedoch ein Staatsbürgerrecht ist. Durch das EU-Recht wurde die
Rechtslage insoweit bereits erheblich modifiziert.
2. Im Übrigen entspricht der Wortlaut Art 6 StGG und er nimmt Art 18 StGG
im Wesentlichen wortgleich in seinen Gewährleistungsumfang auf. Auf folgende
Punkte sei hingewiesen:
a) Mit Erwerbszweig sind sowohl selbstständige, als auch unselbstständige
Tätigkeiten erfasst, auch der Beruf des Beamten gehört dazu. Beruf ist nach der
Rechtsprechung des VfGH eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit und dient im
Allgemeinen der Erzielung des Lebensunterhalts.
Die Erwerbsfreiheit nach Art 6 steht nach der Judikatur neben Staatsbürgern
auch inländischen juristischen Personen zu. Die Berufsfreiheit nach Art 18
steht nur natürlichen Personen zu. Der neue Text macht keine Unterscheidung
mehr zwischen natürlichen und juristischen Personen. Freilich werden die Berufswahlfreiheit
und die Berufsausübungsfreiheit von ihrem Inhalt her nur natürlichen Personen
zustehen.
b) Der Entwurf enthält neben dem formellen Gesetzesvorbehalt keine
Grundrechtsschranken. Nach der Judikatur des VfGH sind die Grundrechtsschranken
für Erwerbsfreiheit und Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit einheitlich.
Danach dürfen Eingriffe in die Freiheiten erfolgen, wenn sie gesetzlich
vorgesehen sind, ein legitimes Ziel verfolgen und das Verhältnis zwischen
Schwere des Eingriffs und Gewicht der rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig
(angemessen) ist. Von einer expliziten Normierung dieser „Grundrechtsformel“
kann mit Blick auf die ständige Rechtsprechung abgesehen werden.
3. Abs 2 des Entwurfs übernimmt inhaltlich Art 4 EMRK. Er enthält ein ausdrückliches
Verbot von Sklaverei und Leibeigenschaft sowie von Zwangs- und Pflichtarbeit
und eine Aufzählung von Pflichten, die keine Zwangs- oder Pflichtarbeit
darstellen. Im Ergebnis ermächtigen Abs 2 2. und 3. Satz zu besonderen
Eingriffen in das Grundrecht jenseits der allgemeinen Schranke der
Verhältnismäßigkeit. Von der EMRK wird nur insoweit abgewichen, als der
Tatbestand der lit b präzise auf das österreichische Verfassungsrecht
abgestimmt ist.
Dienstleistungen im Fall von Notständen und Katastrophen sind zB
Hilfeleistungen nach einem Hochwasser. Arbeiten oder Dienstleistungen, die zu
den normalen Bürgerpflichten gehören, sind beispielsweise kommunale Hand- und
Spanndienste, Feuerwehrdienste etc.
Erläuterungen zu Eigentumsgarantie (erster Entwurf)
1. Abs 1 des Entwurfs fasst die allgemeine Eigentumsgarantie und die
Liegenschaftsverkehrsfreiheit zusammen. Ausdrücklich zu Diskussion gestellt
wird, ob die nur für die Liegenschaftsverkehrsfreiheit bestehende Beschränkung
des persönlichen Schutzbereichs auf Staatsbürger aufrecht erhalten werden soll.
Dies angesichts des Umstandes, dass nach dem Recht der Europäischen Union und
dem Recht des Europäischen Wirtschaftsraumes nur noch wenige Kategorien von
Drittstaatsangehörigen, die ökonomisch dazu in der Lage sind, von einer
Gleichstellung ausgeschlossen sind.
2. Zu Diskussion gestellt sei, auf eine gesonderte Normierung der
Liegenschaftsfreiheit überhaupt zu verzichten und diese im allgemeinen Schutz
der Eigentumsgarantie aufgehen zu lassen. Dies entspräche auch der Judikatur
des EGMR zu Art 1 1. ZP EMRK, aber auch der Rechtslage nach anderen
europäischen Verfassungen. In diesem Fall könnten Abs. 1 Satz 2 und die
Klammerausdrücke in Abs. 3 des Konventsentwurfs entfallen.
3. Die Abs 2 und 3 normieren die sogenannten „Grundrechtsschranken“, und
zwar getrennt nach den beiden Kategorien der Enteignungen und der
Eigentumsbeschränkungen (in der Terminologie der EMRK: Regelungen der Nutzung
des Eigentums). Ausdrücklich verankert wird – in Anlehnung an die
Grundrechtecharta, aber auch an das Bonner Grundgesetz – erstmals eine
Entschädigungspflicht. Im Übrigen sind die Tatbestände der Abs 2 und 3 so
gefasst, dass die bisherige Judikatur zu den Grundrechtsschranken im Bereich
der Eigentumsgarantie fortgeführt werden kann.
4. Eine gesonderte Erwähnung des geistigen Eigentums (vgl. Art. II-17 des
Entwurfs EU-Verfassung) erscheint entbehrlich.
5. Nicht nur vermögenswerte Privatrechte, sondern auch öffentlichrechtliche
Rechtspositionen sind nach der Rechtsprechung des EGMR von der
Eigentumsgarantie erfasst.
6. Die Regelung des Art 6 Abs 2 StGG kann entfallen. Unter der „todten
Hand“ waren unter dem Banne der Veräußerungsverbote stehende kirchliche
Korporationen, Anstalten und Stiftungen zu verstehen, und zwar solche, die in
Verfolgung ihrer dauernden Endzwecke die erworbenen Güter zu erhalten
verpflichtet waren. Durch Art XIII des Konkordats besteht hinsichtlich der
Katholischen Kirche die völkerrechtliche Verpflichtung, von Art 6 Abs 2 keinen
Gebrauch zu machen. Das hat unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes
indirekte Auswirkungen auch auf die anderen Kirchen und
Religionsgemeinschaften. Die Regelung erscheint somit entbehrlich.
7. Ebenso erscheint die Regelung des Art 7 StGG entbehrlich.
8. Auch die jüngere Judikatur zu Grundrechtsschranken bezüglich der
Liegenschaftsverkehrsfreiheit lässt sich auf der Basis des neuen einheitlichen
Gesetzesvorbehalts aufrecht erhalten.